Kommentar zur Pünktlichkeitsentwicklung 2014-2015

Der Artikel Pünktlichkeit: S-Bahn hat Tiefpunkt durchfahren in den Stuttgarter Nachrichten vom 26.01.2016 von Konstantin Schwarz und einige Aussagen darin haben uns zum folgenden Beitrag veranlasst.

Ja, es stimmt, 2015 war die S-Bahn Stuttgart tatsächlich pünktlicher als im Jahr zuvor unterwegs und das ist erfreulich, auch wenn die aktuell erreichte durchschnittliche Pünktlichkeit immer noch weit unter der Zielvorgabe liegt, die bei der 3-Minuten-Pünktlichkeit noch nie und bei der 6-Minuten-Pünktlichkeit zum letzten Mal in 2011 erreicht wurde. Allerdings halten wir es für verfrüht, schon jetzt von einer Trendwende zu sprechen, denn vom Tiefpunkt 2014 aus gesehen, kann es eigentlich nur besser werden, alles andere wäre eine Bankrotterklärung. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Und dann noch etwas: Bekanntlich gehen komplett ausgefallene Züge überhaupt nicht in die Statistik ein und gerade in 2015 war die Zahl der Ausfälle streikbedingt besonders hoch. Stellen Sie sich vor, es wäre überhaupt kein Zug gefahren, dann wäre die Pünktlichkeit sogar 100% gewesen! Unsere Forderung an DB und VRS lautet daher: Ein ausgefallener Zug muss mit dem aktuellen Taktabstand in die Verspätungsstatistik eingehen, auch wenn die DB der Ansicht ist, dass  dies nirgendwo in Deutschland so gemacht wird.

DB-Jahrespünktlichkeit 2004-2014 (GVZ)

DB-Jahrespünktlichkeit 2004-2014 (GVZ)

Bitte beachten Sie den sehr feinen vertikalen Maßstab (nur 2,5% pro Raster)  in obigem Diagramm. Die Verbesserung zwischen 2014 und 2015 beträgt bei der 6-Minuten-Pünktlichkeit 1% (95,6 → 96,6% bei einem Zielwert von 98%), bei der 3-Minuten-Pünktlichkeit immerhin doch fast 3% (85,8 → 88,5%, Zielwert 94,5%).

Da es die DB und der Verband Region Stuttgart wieder einmal spannend machen und die bereits bekannt gewordenen offiziellen Zahlen für 2015 erst in einigen Wochen anlässlich einer Pressekonferenz bekanntgeben wollen, haben wir für das obige und nachfolgende Diagramm für 2015 die den StN bereits vorliegenden Werte für die GVZ herangezogen.

Der Pünktlichkeitsverlauf für (GVZ und HVZ) der bisher offiziell kommunizierten Werte sieht über die Jahre so aus:

DB-Jahrespünktlichkeit 2004-2014

DB-Jahrespünktlichkeit 2004-2014

Leider gab man sich beim Verband Region Stuttgart bis 2013 mit den durchschnittlichen Werten für alle Linien zusammen zufrieden. Nachdem wir von S-Bahn-Chaos.de gezeigt haben, dass es ohne weiteres möglich ist, die Werte auch für die einzelnen Linien zu ermitteln und so den betroffenen Fahrgästen auf den einzelnen Linien die entsprechende Information zu geben, hat die DB in 2014 (wir hoffen natürlich auch in 2015 ff.) auch die Pünktlichkeit der einzelnen Linien im Jahresdurchschnitt berechnen lassen und kommuniziert. Denn die teilweise miserable Pünktlichkeit auf den Durchmesserlinien S1 bis S3 spricht nochmals eine andere Sprache als die durchschnittlichen Werte über alle Linien, die auch die weniger kritischen Linien wie S4-S6(0) enthalten.

Wir haben daher schon vorab die Jahrespünktlichkeiten 2014 und 2015 aus unseren Werten der jeweiligen Monatspünktlichkeiten ermittelt und zum einfacheren Vergleich in eine Animation gepackt:

Jahrespünktlichkeiten 2014 und 2015 als Animation

Jahrespünktlichkeiten 2014 und 2015 als Animation

Die Gründe für die rapide Verschlechterung der Pünktlichkeit seit 2010 (mit einem Zwischenhoch in 2011) liegen unserer Meinung nicht an der (seither eigentlich nur noch geringfügigen) Zunahme der Fahrgäste, sondern zum Einen an den beginnenden Bauarbeiten für Stuttgart 21, aber auch nicht unwesentlich an der oft geradezu verlotterten Infrastruktur. Die meist über 40 Jahre alten Relaisstellwerke kommen mittlerweile einfach in die Jahre, denn ein Relais hält einfach nur eine begrenzte Anzahl von Schaltspielen aus. Neue Relais gibt es auf dem Markt nicht zu kaufen, sie werden wegen der heutzutage nur noch kleinen benötigten Stückzahl für den Austausch von Relaisgruppen nach Bedarf in einer Art Sonderfertigung hergestellt. Und wenn dann auch noch Stellwerksrechner wie neulich in Vaihingen ausfallen und der vorgeschriebene Ersatzrechner auch nicht funktioniert, dann muss man sich schon fragen, wie lange man die DB noch als privatwirtschaftlich organisiertes und damit zum Gewinn verpflichteten Staatsunternehmen weiter herumwursteln lassen will.
Die Bahn ist dem Gemeinwohl verpflichtet und kann in Summe nie gewinnbringend arbeiten, sondern wird für immer ein Zuschussbetrieb bleiben, schon weil sie auch auf wirtschaftlich unrentablen Strecken für die gesamte Infrastruktur verantwortlich ist und nur ein Teil der Kosten über die Fahrpreise hereingeholt werden kann. Es ist aber geradezu grotesk, dass der privatwirtschaftlich organisierten und im Staatseigentum befindlichen DB AG vom Staat eine Dividende abverlangt wird, die dem Konzern DB AG dann gleich wieder um ein Vielfaches vermehrt als Subventionen zur Verfügung gestellt wird. Kein Wunder, dass die DB die größte Rendite aus dem Nahverkehr erzielt, der zu 100% vom Staat finanziert wird und derselbe Staat verlangt von seiner ‚Firma‘ nicht einmal, dass diese Subventionen ausschließlich für die Bahn-Infrastruktur in Deutschland reinvestiert werden.

Urteilen Sie selbst über die Hoffnung des Leitenden Verkehrsdirektors Dr. Wurmthaler vom VRS, nämlich „dass das System nicht weiter in den Keller geht“. Zuversicht klingt anders!

OK, der Test des Schiebetritts in den neuen Zügen vom Typ ET 430  ist noch nicht abgeschlossen, trotzdem ist es eine unumstößliche Tatsache, dass er jeden Halt – bei dem er zum Einsatz kommt – systembedingt um ca. 4 Sekunden verlängert. Wer Programme wie ‚Jede Sekunde zählt‘ auflegt, muss sich nicht wundern, dass „Sirenengesänge“ (OT Dr, Wurmthaler) angestimmt werden.

Und wenn der VVS die Kundenzufriedenheit anhand der gesunkenen Anzahl von Beschwerden in der Kategorie Fahrplan mit Verspätungen und Ausfällen bemisst, ist das ein Armutszeugnis, denn nach unserer Meinung ist der Rückgang der Beschwerden ganz einfach mit Resignation zu erklären.

Als konstruktiv-kritisches Portal wie uns die StN einstuft sind wir selbstverständlich an einer besseren S-Bahn – mit allem was dazu gehört – interessiert. Wir wollen dabei nicht ungerecht sein, aber wir sind keinen politischen oder unternehmerischen Zwängen und Rücksichtnahmen unterworfen, sondern nennen die Dinge beim Namen, auch wenn es vielleicht dem einen oder anderen Verantwortlichen (offiziell) weh tut. Und sollten wir uns bei unserer Einschätzung einmal täuschen, haben wir kein Problem damit, unsere Aussagen zu revidieren.

3 Gedanken zu „Kommentar zur Pünktlichkeitsentwicklung 2014-2015

  1. Wolf

    Irgendwie erinnert mich die Messung der 3-Minuten- und 6-Minuten-Pünktlichkeit schon verdammt an Volkswagen. Das sind doch eigentlich willkürlich herausgegriffene Werte, deren Aussagekraft recht zweifelhaft ist, denn mit „der Kundensicht“ hat das ja nicht viel zu tun. Vor allem wenn die vielen Teil- und Komplettausfälle nicht mit gezählt werden. Zum Beispiel bedeutet ein ausgefallener Zwischentakt für viele Fahrgäste eine Verspätung von 15 Minuten. Kommen dann noch 2 Minuten dazu ist die Bahn offiziell absolut pünktlich, aber bei dem Fahrgast sind es schon 17 Minuten(!) Verspätung. Sind es 5 Minuten zusätzliche Verspätung sind es für den Fahrgast 20 Minuten, aber offiziell ist die 6-Minuten Pünktlichkeit eingehalten. Und bei einer 70 Minuten-Verspätung scheint trotzdem nur eine nicht eingehaltene 6-Minuten-Pünktlichkeit in der Statistik auf! Ich finde es ist schon ein Unterschied, ob ich 7 oder 70 Minuten verspätet bin! Wieso werden nicht ALLE Verspätungsminuten einfach addiert? (natürlich MIT Berücksichtigung der Ausfälle)

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    1. Musenrössle

      Also ich habe ja vor langer Zeit mal gelernt, daß Markttransparenz eine notwendige Voraussetzung für jede Marktwirtschaft ist.

      Wenn also, wie wir heute dank Internet wissen, nicht nur bei der Bahn und VW, sondern allüberall betro… äh den Kunden allzuviel Transparenz lieber nicht zugemutet wird ;-), dann kann das eigentlich nur bedeuten, daß Marktwirtschaft, sprich echter Wettbewerb gar nicht gewünscht ist.

      Konkurrenz ist ja bekanntlich nur was für Loser… und würde nur den Sozialismus für Reiche stören ;-)…

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    2. Ulli Fetzer Beitragsautor

      Aus Kundensicht ist gegen die Festlegung einer 3- und einer 6-Minuten-Pünktlichkeit zunächst nichts einzuwenden. Mit einer Verspätung von unter 3 Minuten erreicht man in der Regel die auf den Takt der Bahn abgestimmten Anschlüsse. Bei einer Verspätung von über 3 Minuten ist der Anschluss gefährdet und wird häufig nicht mehr erreicht. Bei 6 Minuten und mehr Verspätung sind die Anschlüsse definitiv nicht mehr zu erreichen. Das gilt vor allem, je näher man an die Außengrenzen des VVS kommt. Die Busse warten im allgemeinen nicht und wenn überhaupt vielleicht 1-2 Minuten und fahren oft nur alle 30 Minuten oder jede Stunde. Abends fahren sie oft gar nicht mehr. Im Bereich der SSB mit einem Takt von 10 Minuten für Stadtbahn und Busse ist es hingegen im allgemeinen weniger tragisch.

      Was die ausgefallenen Züge betrifft, fordern wir ja auch, dass die ausgefallenen Züge als um einem Taktabstand (15 bzw. 30 Minuten) verspätet in die Statistik eingehen müssen. Bei Verspätungen ist die Feststellung der Betroffenheit manchmal schwierig, wenn Sie nicht gerade in dem Zug sitzen, der seine Verspätung erst unterwegs aufbaut. Stellen Sie sich vor, alle Züge haben während der HVZ generell genau 15 Minuten Verspätung, dann kommen Sie ganz pünktlich an ihr Ziel, da es Ihnen ja egal sein kann, mit welchem Zug Sie fahren (außer Sie benützen den ersten Zug). Wir von S-Bahn-Chaos.de haben uns schon öfters überlegt, wie wir ausgefallene Züge in unsere Statistik aufnehmen können. Der Aufwand dafür ist zum einen aber sehr hoch, zum anderen sind die uns zur Verfügung stehenden Daten häufig ungenau und hinsichtlich der Zugausfälle unvollständig.

      Ulli Fetzer vom Team-S-Bahn-Chaos.de.

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