S-Bahn ab 2020 tagsüber durchgehend im 15-Minutentakt

In ihrer Sitzung am 28.09.2016 hat die Regionalversammlung der Region Stuttgart beschlossen, den 15-Minutentakt der S-Bahn montags bis freitags gegenüber heute ganz erheblich auszuweiten. Beginnend im Dezember 2017 soll in vier im Jahrestakt aufeinander folgenden Stufen bis Dezember 2020 unter der Woche tagsüber (Betriebsbeginn ca. 5:00 Uhr bis 20:30 Uhr) ein durchgehender 15-Minutentakt realisiert werden. In den Ohren der unzähligen täglichen S-Bahnbenutzer klingt diese Entscheidung verheißungsvoll. Muss man sich die Abfahrtzeiten wirklich noch merken, wenn jede Viertelstunde ein Zug fährt? Allerdings gab und gibt es — auch in der Regionalversammlung — warnende Stimmen, für die die Voraussetzungen für einen gut funktionierenden 15-Minutentakt derzeit weder gegeben noch verlässlich absehbar sind. Dabei sind weniger die einzelnen Stufen zur Ausweitung des 15-Minutentakts, sondern vor allem der 15-Minutentakt von frühmorgens bis ca. 20:30 Uhr im Brennpunkt. Auch der nachfolgende Beitrag hat diesen Fokus und beschränkt sich zunächst auf einen Ausschnitt aus der gesamten Problematik.

Es gibt keinen Zweifel, dass ein ganztägiger 15-Minutentakt der S-Bahn die Woche über ein erstrebenswertes Ziel ist. Wenn auf Grund der Feinstaubbelastung in der Stuttgarter Innenstadt dem motorisierten Individualverkehr in naher Zukunft zeitlich begrenzte Fahrverbote drohen, ist es notwendig, die Angebote des öffentlichen Linienverkehrs, vorrangig elektrisch betrieben auf der Schiene, so attraktiv wie möglich zu gestalten. Auch den Staus auf den Straßen im Ballungsraum Stuttgart ist nur beizukommen, wenn man noch mehr Leute zum Umstieg vom Auto auf die Bahn bringt. Die große Zahl der Pendler wird durch den bereits heute bestehenden 15-Minuten-Takt in der Hauptverkehrszeit zwar schon bedient. Aber in Beruf und Ausbildung führt die Flexibilisierung der Arbeitszeit immer häufiger dazu, dass eine oder gar beide täglichen Fahrten des Betreffenden in die Normal- oder Schwachverkehrszeit fallen, in der die „Öffentlichen“ im Vergleich zum Auto für die gesamte Reisekette von Haus zu Haus nur eine ziemlich unattraktive Reisezeit bieten können. Hier sind mit Angebotsverbesserung sicherlich noch S-Bahnfahrgäste zu gewinnen.

Doch im Moment — s-bahn-chaos.de dokumentiert es täglich — ist das S-Bahnangebot in der 15-Minutentaktzeit durch Störungen und Verspätungen mit großen Problemen konfrontiert. Um es gleich zu sagen: mit der derzeitigen Stabilitäts- und Pünktlichkeitsituation der S-Bahn würde ein ganztägiger 15-Minutentakt nicht nur nicht gelingen, sondern vermutlich die Probleme noch vergrößern. Die Pause zwischen der morgendlichen und nachmittäglichen 15-Minutentaktzeit wird vor allem für die Stammstrecke Hauptbahnhof – Schwabstraße dringend benötigt, um Verspätungen und Störungen wieder zu beseitigen und den Verkehr zu normalisieren. Die Aussicht, dass eine Störung oder Verspätung am frühen Morgen sich möglicherweise bis abends um neun auswirken und nicht beheben lassen könnte, ist erschreckend. Wir würden oft erleben müssen, dass Fahrten notgedrungen einfach gestrichen werden, damit der Verkehr schnellstmöglich wieder ins Lot kommt. Der Verband Region Stuttgart und die Regionalversammlung wären gut beraten, den in der Sitzungsvorlage zur Entscheidung formulierten Vorbehalt, dass „eine grundsätzlichen Prüfung zur Fahrbarkeit der einzelnen Stufen noch durchzuführen ist“ und eine „Konfliktbearbeitung im Detail“ erfolgt, sehr ernst zu nehmen. Insoweit hat für mich die Entscheidung für ganztägigen 15-Minutentakt zunächst den Charakter einer (sicherlich ernst gemeinten) Absichtserklärung: Umsetzung nur dann, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Und auch die Folgen der Entscheidung der Region sollte man genauer anschauen. Taktverdichtung bei der S-Bahn nützt zunächst nur denjenigen S-Bahnbenutzern, die für ihren Reiseweg kein weiteres öffentliches Verkehrsmittel brauchen. Die vielen Reisenden, die mit dem Bus zur S-Bahnstation fahren müssen, haben nur dann etwas davon, wenn auch der Zubringerbus entsprechend öfter fährt. Damit geraten die Umlandkreise in Zugzwang, zusätzliche Busfahrten anzubieten. Da kaum anzunehmen ist, dass die Nachfrage sich alleine durch die Taktverdichtung von 30 auf 15 Minuten verdoppelt, wird sich die durchschnittliche Auslastung der Busse und die Fahrgeldeinnahme pro Fahrt verringern. Damit erhöht sich der Aufwand der Kreise und Gemeinden für den Zubringerbusverkehr und gleichzeitig werden sie die zusätzlichen Kosten der Ausdehnung des 15-Minutentakts der S-Bahn über die Umlage der Region mitbezahlen müssen. Es ist also nicht nur gekränkte Eitelkeit, wenn die Landräte der Umlandkreise Kritik üben und Einbeziehung in die Entscheidungsvorbereitungen fordern.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es sollen nicht etwa die Diskussion und Entscheidung für einen ausgeweiteten 15-Minutentakt der S-Bahn unterbleiben, weil es Probleme gibt oder welche zu erwarten sind. Entscheidungen in dieser Richtung werden uns keinesfalls erspart bleiben. Und auch die Mehrkosten — für die S-Bahn sind ca. 21 Mio € pro Jahr prognostiziert — wird es uns wert sein müssen. Nur soll bitte die ganze Problematik z. B. auch der Anschlussverkehre in der Rechnung mitbetrachtet werden. Dann kommt bestimmt eine noch ernstlich höhere Summe heraus, die wir gegenüber der Bürgerschaft offen kommunizieren sollten, damit nicht auch hier die ewige Leier über verschwiegene Mehrkosten wieder ertönen muss. Und auch die höhere Summe sollte es uns definitiv wert sein – selbst dann, wenn die Kostenerhöhung auch in den Fahrpreisen spürbar wird. Es ist nicht anzunehmen, dass die Kreise und Gemeinden in der Lage oder bereit sind, die Deckungsrate der Kosten durch die Fahrgeldeinnahmen von derzeit 60% sinken zu lassen und die Mehrkosten komplett aus ihrem Haushalt zu finanzieren.

Die Entscheidung der Regionalversammlung zur Erweiterung des 15-Minutentakts erzeugt noch einen weiteren Zugzwang. Es ist noch mehr Engagement notwendig, die heutigen Probleme der Stuttgarter S-Bahn zu lösen. Wie an anderer Stelle schon formuliert wurde, ist hier die DB Netz und ihre Eigentümerin Bundesrepublik Deutschland im Fokus. Auch wir werden dort weiterhin bohren.

2 Gedanken zu „S-Bahn ab 2020 tagsüber durchgehend im 15-Minutentakt

  1. Stefan Urbat

    Es kommt noch viel schlimmer: mein Gemeinderatsfraktionskollege hat mir berichtet, dass ab 2018 jahrelang bis zur vermutlich niemals erfolgenden Fertigstellung von S21 nur noch ein Zulaufgleis statt zwei am Hauptbahnhof zur Verfügung stehen werden. Wir wissen alle aus Erfahrung, dass unter diesen Umständen nur noch ein Halbstundentakt ganztägig möglich sein wird.

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    1. Klaus Wößner Beitragsautor

      Sehr geehrter Herr Urbat,
      aus der letzten Sitzung des regionalen Verkehrsausschusses am vergangenen Mitwoch habe ich zu diesem Thema die Information mitgenommen, dass im Zuge der Bauarbeiten von S21 die S-Bahn-Zulaufgleise auf den Hauptbahnhof noch früher auf einem Gleis zusammengeführt werden als dies heute schon geschieht. Wenn dabei zwei Richtungsgleise (eins für stadteinwärts und eins für stadtauswärts) für die S-Bahn erhalten bleiben, wird dies m. E. noch nicht die Reduzierung auf einen ganztägigen und flächendeckenden Halbstundentakt verlangen. Es muss aber in der Tat damit gerechnet werden, dass dies die Störungen im S-Bahnverkehr weiter verstärkt. Ganz schlimm wäre allerdings, wenn nur ein einziges Gleis für beide Fahrtrichtungen verfügbar wäre. Könnten Sie bitte Ihren Gemeinderatskollegen nochmals ansprechen, ob ihm konkrete Pläne dazu bekannt sind, bzw. ob er diese evtl. über seine Verbindungen bekommen kann? Hier müssen wir nach wie vor höchst wachsam sein, denn S21 bescherte uns viele Verschlimmerungen, die erst sehr spät bekannt gegeben oder überhaupt nur durch akribische Recherche Dritter zu Tage gefördert wurden.
      Freundliche Grüße
      K. Wößner

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