Bahn-Chaos in ganz Deutschland, Andreas Kegreiß (ProBahn) auf der 184. Montagsdemo am 12.8.2013

Liebe Freunde eines vernünftigen Bahnverkehrs, eines attraktiven ÖPNVs, liebe Obenbleiber,

Bus- und Bahnfahren könnte so schön sein – wenn das System funktioniert. Wenn die Fahrpreise, Fahrangebote, Umsteigemöglichkeiten attraktiv sind. Dann ist der ÖPNV, Nah- und Fernverkehr eine echte Alternative zum Auto.

Bahnfahren ist auch dank der zentralen Logistik in den Stellwerken wesentlich – über 60 mal – sicherer als das Autofahren. Bahnfahren ist vergleichsweise umweltfreundlich: Bahnfahren hat Zukunft – sollte man meinen.

Wer die Tage aber das Desaster in Mainz verfolgt, dass ein Bahnhof in der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, an der aussichtsreichen Magistrale Frankfurt – Koblenz gelegen, abgehängt wird, dem gehen spätestens jetzt die Augen auf: Es ist schlecht bestellt um das System Bahn, es krankt.

Bereits am 18. Juni vermeldete der Rhein-Main-Verkehrsverbund: „Wegen Personalmangels im Stellwerk am Hauptbahnhof in Mainz sind von etwa 14.45 Uhr bis 15.00 Uhr sowie von etwa 16.45 Uhr bis 17.00 Uhr keine Zugfahrten möglich. Es kommt zu Verspätungen und Teilausfällen“. Es gibt sie also schon länger, die Warnzeichen aus Mainz, es fehlt schon länger im Stellwerk an einer Pausenvertretung für das Personal, nicht nur in Mainz.

Am 1. August kam es gar zu einem Beinahe-Zusammenstoß zweier S-Bahnen am Hauptbahnhof Mainz, eine S-Bahn war auf das Gegengleis geraten, nur anderthalb Meter trennten die Züge vor einen Zusammenstoß. Ob für den Beinahe-Crash möglicherweise eine Unterbesetzung des Stellwerks mit ursächlich war, wird noch untersucht.

Die DB sieht jedoch keinen Zusammenhang zwischen dem Beinahe-Unfall und dem aktuellen Personalmangel im Stellwerk, der sie einen Tag später aber dazu veranlasste, abends und nachts den Zugverkehr am Mainzer Hauptbahnhof drastisch einzuschränken und den Fernverkehr komplett um die Landeshauptstadt herum zu lenken. Und seit heute fallen auch wochentags zu den Hauptverkehrszeiten 30% der Züge im Regionalverkehr aus. Dass für das Fußballspiel des VfB gestern in Mainz der Bahnbetrieb sichergestellt wurde – und für den allgemeinen Bahnbetrieb nicht – zeigt auch hier wieder eine falsche Priorität. Oder es ist PR-Flickschusterei.

Von den 15 üblicherweise im Mainzer Stellwerk arbeitenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen seien derzeit fünf erkrankt – auch von Burn-Out ist die Rede – und drei im Urlaub.

Das Fahrdienstleiterpersonal ist überaltert. Das Thema ist nicht neu, siehe auch den Artikel: „Gewinne auf dem Rücken der Beschäftigten“ im Alternativen Geschäftsbericht der DB AG 2012. Es wird an der falschen Stelle gespart. Er gibt keine Lösungen für den Bedarfsfall. Ein ehrbarer Kaufmann hätte vorgesorgt. Autofahrer würden sich tagelange Vollsperrungen wegen Personalmangel im Nacht-Baustellenbetrieb nicht gefallen lassen, da würde es erst gar nicht so weit kommen.

Wohl als Bauernopfer wurde jetzt der Produktionsvorstand Hansjörg Hess entlassen, er muss nach dem Chaos gehen. Ich wusste gar nicht, das die DB was produziert, außer Verspätungen! Das EBA prüft jetzt sogar, ob die DB AG die Betriebspflicht noch korrekt wahrnimmt.

Die Blamage der Bahn am Beispiel Mainz lässt auch stark daran zweifeln, ob die Schieneninfrastruktur im DB Konzern gut aufgehoben ist. Oder ob die DB Netz nicht endlich aus dem Konzern heraus gelöst gehört und unter direkte staatliche Aufsicht zu stellen ist.

Jetzt ist es an der Zeit, bei den Parteien im Bundestagswahlkampf nachzufragen, ob sie den Webfehler des integrierten Konzerns endlich mal korrigieren oder hypnotisiert wie die Kaninchen auf die Schlange schauen. Nutzen wir die Chance der erhöhten medialen Aufmerksamkeit.

Bei Vorträgen von Herrn Dr. Grube hört sich das immer so gut an. Im März letzten Jahres war ich bei einer rosaroten Elefanten-Vortragsveranstaltung in Rottenburg. Das schwäbische Tagblatt schreibt: „Besser kann man sein Unternehmen kaum noch verkaufen: Mit einem frei gehaltenen Vortrag, der vor Daten und Zahlen schier platzte, es aber auch an Bekenntnissen zu Unternehmenskultur, Ökologie und Kundenorientierung nicht fehlen ließ, riss Bahn-Chef Rüdiger Grube die knapp 600 Zuhörer beim Volksbank-Mitgliederforum in der Festhalle fast zu Beifallsstürmen hin.“

Marc Braun stellte dort kritische Fragen zur Stresstestbewertung, ihm war klar, dass die meisten Zuhörer das nicht mehr hören wollten. Nein, die tolle Geschäftspolitik der Bahn, wie man Geld macht, das war wichtig. Dass die Bahngewinne letztlich hauptsächlich aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes, also aus öffentlichem Geld, stammen, wurde nicht thematisiert.

Während in Mainz die Kapazitätsplanung grob fahrlässig erfolgt ist, gibt es in Stuttgart ein Wegsehen und Kleinreden bei der Leistungsfähigkeit von S21 und der S-Bahn. Herr Fricke sagte am 2. Juli beim IHK-Sommerfest zu mir: „Wenn ich mich heute mit OB Kuhn über einen neuen Bahnhof unterhalte, dann würde da ein ganz anderer Bahnhof für Stuttgart dabei rauskommen. Das würde aber 20 Jahre länger dauern.“ Geht es Herrn Fricke um die Leistungsfähigkeit? Oder sieht er die mit dem Bau verbundenen Probleme für die Stadt Stuttgart? Wenigstens denkt er nach. Ein Projekt muss ja zu jeder Zeit seine Rechtfertigung haben – eigentlich.

Als großer Schlichtungserfolg war noch der Erhalt der Gäubahn-Panoramastrecke verkauft worden, auch das S-Bahn Notfallkonzept war über diese Strecke vorgesehen. In aktuellen Plänen spielt das keine Rolle mehr. Aber: Der Weg der Gäubahn über den Flughafen mit der Engstelle an der Station Flughafen-Terminal führt in ein weiteres Desaster, primär für die S-Bahn. Spätestens damit wird die S-Bahn instabil. Und für die Gäubahn selbst gibt es mit dem Weg über den Flughafen nur halb so viele konfliktfreie Trassen, ein 15-Minuten-Takt ist unmöglich. Der auch zur S-Bahn-Entlastung dringend benötigte RE Halt in Vaihingen wäre nicht mehr möglich.

Trotz all den bekannten Problemen gibt es weiterhin treue S21-Anhänger aus Politik und Wirtschaft. Stuttgart 21 soll, ja muss, ein Vorzeigeprojekt sein. Wie wahrnehmungsgestört werden dabei Probleme ausgeblendet. Peter Gerstmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin GmbH sagt im Pro-S21-Film „Stuttgart 21: Der Wirtschaftsstandort“ im März: „Sie müssen etwas realisiert haben, um zu zeigen, dass sie’s können. Wir reden leider immer zu viel über die Kosten…. Und damit fängt natürlich die Strahlkraft eines Projektes an, im Sinne von: Die können es leisten, und die können es lösen. Und insofern sind natürlich Projekte, die über ihre Grenzen hinaus diese Leistungsfähigkeit anzeigen, Projekte, die dem gesamten Standort in seiner Problemlösungskompetenz für den Kunden einen riesen Vorteil bieten.“ Wohlgemerkt: Er spricht nicht von der Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs. Es geht um die Leistung des Filzes aus Wirtschaft, DB und Politik.

Oder Thomas Leipnitz, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Regionalfraktion zur Gäubahnführung über den Flughafenbahnhof: „Ich sehe nicht, warum auf der Filderstrecke durch LE bei zusätzlich 1,5 Zügen pro Stunde und Richtung Kapazitätsprobleme auftreten sollen.“

So ahnungslos kann man auch das Chaos provozieren. Schon heute sind es übrigens bereits 2,5 Züge pro Richtung in der Spitzenstunde am Stuttgarter Hauptbahnhof (drei ankommende und zwei abfahrende, davon ein IC abfahrend, der seit Mitte Juli aber nach Stuttgart-Vaihingen ausweichen muss). Ein weiterer Ausbau muss möglich sein. Einzig bei der Antragstrasse sieht die SPD – aber nach der Volksabstimmung – die Probleme wegen der Eingleisigkeit am Terminalbahnhof. Der nur zweigleisige Filderbahnhof Plus wäre aber gesamt betrachtet auch keine bessere Lösung.

Die inzwischen abgesetzte neue S-Bahn mit den ausfahrenden Trittstufen durfte auch nicht kritisiert werden. Nach sechs Wochen mit mehr schlechtem als rechtem produktivem Vorlaufbetrieb schrieb mir Thomas Leipnitz: „Ich finde es im Übrigen gerade nicht besonders fair, sofort bei den ersten Problemen mit den neuen ET 430 sofort auf die Bahn und den VRS draufzuschlagen! Solche Anlaufschwierigkeiten sind natürlich ärgerlich, aber lieber finde ich jetzt im Testbetrieb eine Lösung, als wenn alle Fahrzeuge bereits geliefert sind.“

Gut zwei Wochen später wurde der Betrieb eingestellt. Nicht fair war es, mit uns Fahrgästen so fahrlässig umzugehen. Der Verband Region Stuttgart ist offensichtlich überfordert und kommt seiner Aufgabe, einen ordentlichen Nahverkehr in Stuttgart zu gewährleisten, nur eingeschränkt nach. Da muss man dann auch die Frage stellen, ob die S-Bahn, als Rückgrat des Nahverkehrs, nicht besser wie es früher war beim Land aufgehoben wäre.

Auch bei der Wegebeziehung am Hauptbahnhof werden Probleme ausgeblendet. Wenn der direkte Abgang zur S-Bahn im Hauptbahnhof geschlossen wird, trifft das sehr viele Berufspendler, da alle erst über den neuen Querbahnsteig gehen müssen, um zu den letzten verbliebenen Abgängen zur S-Bahn zu gelangen. Dies wird jeden Morgen zu einem großen Stau führen, 5 Minuten mehr Wegezeit, reichen nicht, wie von Herrn Hantel – bei der DB zuständig für Bahnhöfe – dargestellt.

Um Anschlüsse für die Fahrgäste zu sichern, werde die Pufferzeit um vier Minuten verlängert, so Hantel. Auch das ist so falsch. Das geht nicht, die Züge können doch nicht alle 4 Minuten früher am Bahnhof ankommen. Die S-Bahnen und Züge fahren nach Fahrplan, im Takt. Es wird lediglich die Bahnabfrage im Internet angepasst…

Was können wir tun? Die Entscheidungsträger so gut es geht informieren, Erstattungsansprüche geltend machen. Und uns aktiv beim S-Bahn Gipfel am 9. Oktober einbringen. Aktiv bleiben.

Wenn Ihr einen Anspruch auf Erstattung (im VVS nach Plan über 30 Minuten am Ziel: Taxiregelung, bei der DB ab 60 Minuten anteilige Fahrgelderstattung) habt, wendet ihr euch am besten direkt an die Bahn. Schreibt oder ruft das RAN (Regionaler Ansprechpartner Nahverkehr)-Team an: ran-baden-wuerttemberg@bahn.de bzw. Tel. 0711/20 92-70 87, fragt auch nach Kulanzerstattungen, geht ins Reisezentrum. Die Beschwerdemails, Anrufe und Erstattungen werden gezählt und sind ein Indikator der Qualitätsmessung im Bahnbetrieb.

Wir Fahrgäste fordern eine gute Bahn, den Verzicht auf die nächste Fahrpreiserhöhungsrunde, ausreichende Kapazitäten, S-Bahnen, die einen Notfallfahrplan fahren können, gute Umsteigebeziehungen, einen integralen Taktfahrplan und angenehme Bahnhöfe, in denen man sich gerne aufhält.

Und für weitere Hintergründe zur DB AG empfehle ich die Lektüre des Alternativen Geschäftsberichts und das Büchlein von Karl-Dieter Bodack: „Der Weg der Bahn: ein wirtschaftliches und ökologisches Desaster.“

Dran bleiben, weiter für eine bessere, pünktliche Bahn, die zum inspirierten Reisen und Arbeiten einlädt, z.B. über Mainz am Rhein entlang. Nicht dass es heißt, der einzige Zug, der in Mainz pünktlich fährt, ist der Rosenmontagszug.

Oben bleiben.

Ein Gedanke zu „Bahn-Chaos in ganz Deutschland, Andreas Kegreiß (ProBahn) auf der 184. Montagsdemo am 12.8.2013

  1. Letta

    „Nicht dass es heißt, der einzige Zug, der […] pünktlich fährt, ist der Rosenmontagszug.“ Doch – damit allen mal klar wird, dass die DB AG ein Karnevalsverein ist und ihr Doktor „Cash in ze täsh is ze name of ze game“-Grube ihr Oberjecke. „Hr. Dr. Grube, Sie sind heute mit dem Auto und nicht mit der Bahn gekommen, wieso?“ Grube: „den Scheiß mache ich schon lange nicht mehr“. Und ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode.

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