Hintergrund und Status
Laut einem Artikel der StZ hatte der Verband Region Stuttgart (VRS) im Herbst beschlossen, Strafzahlungen für nicht erreichte Ziele nicht von der DB Regio als Betreiber der S-Bahn Stuttgart einzufordern, sondern dieses Geld stattdessen für einen WLAN-Probebetrieb in zwei S-Bahnzügen einzusetzen. Dieser Probebetrieb sollte eigentlich im 4. Quartal 2015 starten, aber erst am Montag 11.1.2016 ging das neue Angebot offiziell in Betrieb. Verspätungen sind wir ja bei der S-Bahn gewohnt.
Wir begegnen diesem Vorhaben mit der gebotenen Skepsis, da es die Deutsche Bahn mit Unterstützung der Telekom bis heute nicht geschafft hat, in den ICEs wirklich verlässliche Internetverbindungen per WLAN zu betreiben und werden das Angebot deshalb genau unter die Lupe nehmen.
Zusätzlich will der VRS die Mobilfunkabdeckung entlang der S-Bahnstrecken untersuchen lassen und darauf hinwirken, dass erkannte Defizite von den Netzbetreibern abgestellt werden. Eine ständige gute Mobilfunkverbindung ist nötig um über WLAN im Zug eine verlässliche Internetverbindung bereitstellen zu können. Ein Ergebnis der Untersuchung wurde bislang nicht veröffentlicht.
Diese Initiative ist sehr zu begrüßen, denn sie kommt letztlich allen Smartphone-Nutzern in den S-Bahnen zugute, unabhängig davon ob sie WLAN im Zug nutzen wollen oder nicht.
Technik
Im Gegensatz zu den ICEs der Deutschen Bahn hat die DB Regio die für den Internetzugang per WLAN erforderliche Technik bei der S-Bahn Stuttgart wohl selbst installiert und will keinen Dienstleister wie z.B. die Telekom damit beauftragen. Für den 6-monatigen Testbetrieb hat die DB Regio AG zwei Fahrzeuge der älteren Baureihe ET 423 mit verschiedenen Systemen ausgerüstet um deren Eignung für die Übertragung der Mobilfunk-Signale zu testen. Diese Fahrzeuge verkehren auf den Linien S4, S5 und S6
Sinnvoll wären Router mit einer Außenantenne für besseren Mobilfunkempfang, Nutzung von LTE (4G) sofern vorhanden und Bündelung mehrerer Netzbetreiber zur Steigerung der Bandbreite und Ausfallsicherheit. Auf WLAN-Seite wären mehrere externe Antennen und MIMO-Technik zur Steigerung der Qualität und Datenrate wünschenswert.
Rechtliches
In Deutschland gilt das Prinzip der Störerhaftung, nach dem derjenige, der ein WLAN anderen zur Verfügung stellt, im Zweifel haftbar ist, wenn Nutzer darüber z.B. Urheberrechtsverletzungen begehen. Das führt im allgemeinen dazu, dass WLAN-Anbieter eine Nutzerregistrierung fordern und sich vom Nutzer die Zusicherung einholen, dass dieser keine Rechtsverletzung begeht.
Damit ein Betreiber eventuelle Rechtsverstöße einem Nutzer zuordnen kann, ist meist auch eine Anmeldung erforderlich um sich mit dem WLAN zu verbinden, nicht nur einmal, sondern bei jedem Verbindungsaufbau. Auch beim unverschlüsselten WLAN der S-Bahn Stuttgart mit der Kennung S-BAHN-STUTTGART muss man in einem Login-Fenster im Browser die Nutzungsbedingungen akzeptieren und sich einloggen.
Dies hat nach unseren Erfahrungen mit ähnlichen WLANs in der Praxis leider oft zur Folge, dass Smartphones beim Erkennen des WLANs die Mobilfunk-Nutzung stoppen, die WLAN-Verbindung aber aufgrund der noch ausstehenden Anmeldung erst mal nicht funktioniert. Der Nutzer ist dann offline ohne es vielleicht zu merken.
Vorteile
Smartphone-Nutzer können über das WLAN ins Internet, ohne dass Ihnen dadurch Kosten entstehen. Damit dieses Angebot angenommen wird, muss es aber nicht nur performant, sondern auch einfach zu nutzen sein. Ein WLAN-Netzwerk zu dem sich das Smartphone nicht automatisch verbindet, ist höchstens für Nutzer akzeptabel, die weitere Strecken in einer S-Bahn zurücklegen. Für 2-3 Stationen lohnt sich der Aufwand für die Anmeldung nicht.
Tablet- und Notebook-Computer sind wesentlich seltener mit einem Mobilfunkzugang ausgestattet als Smartphones. Für Nutzer solcher Geräte wäre ein Internetzugang per WLAN in der S-Bahn sicher eine Bereicherung. Vorausgesetzt sie haben einen Sitzplatz, denn im Stehen ist die Nutzung solcher Geräte in einer fahrenden S-Bahn fast unmöglich.
Smartphones mit eigenem Mobilfunknetz-Zugang müssen in einer fahrenden S-Bahn alle paar Minuten die Mobilfunkzelle wechseln, was bei teils mehreren hundert Endgeräten pro Zug beim Mobilfunkbetreiber eine beträchtliche Last erzeugt. Würden alle Endgeräte im Zug stattdessen das WLAN nutzen, müssten nur noch die wenigen Router im Zug die Zellen wechseln und der Aufwand hierfür ginge stark zurück.
Nachteile
Nehmen wir mal an, der Internetzugang per WLAN in der S-Bahn wäre performant, einfach zu nutzen und zudem kostenlos. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass die S-Bahnkunden ihr bisheriges Nutzungsverhalten ändern und auch verstärkt Dienste verwenden werden, die bandbreitenhungrig sind wie z.B. Streaming. Auch würde verstärkt Software heruntergeladen und installiert werden, da solche Downloads ja meist per Mobilfunk unterbunden, aber per WLAN erlaubt sind. Dass sich hinter dem WLAN dann doch nur eine Mobilfunkverbindung existiert, ist den Geräten ja nicht bekannt. Aus diesen Gründen muss befürchtet werden, dass auf Mobilfunkseite eine Überlastsituation entsteht, die dann alle Internetnutzer in der S-Bahn betrifft.
Nicht nur der Aufbau sondern auch der Betrieb einer solchen Infrastruktur kostet eine Menge Geld. Hierfür reichen die vorhandenen Mittel aus den Strafzahlungen nicht aus, selbst wenn die Qualität der S-Bahn noch schlechter werden würde, was keiner von uns hofft. Wenn sich kein Sponsor für die Übernahme der Kosten findet, werden sie zwangsläufig früher oder später allen Kunden über die Ticketpreise auferlegt, egal ob man das Angebot nutzt.
Vorläufige Einschätzung
Für ein endgültiges Fazit ist es natürlich noch viel zu früh, da wir noch keine Erfahrungen mit dem Testbetrieb gemacht haben. Wir sind aber sehr skeptisch, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. Das Geld der Strafzahlungen hätte entweder an die Fahrgäste zurück erstattet werden sollen, z.B. über einen Verzicht auf die jährliche VVS Tariferhöhung, oder es hätte für eine Verbesserung der Mobilfunkverbindung entlang der S-Bahn Strecken verwendet werden sollen.
Zweiteres ist in jedem Fall dringend erforderlich. Auf vielen Streckenabschnitte kann man von mobilem Internet nur träumen, selbst Telefonate mit dem Handy sind unmöglich oder reißen während der Fahrt häufig ab. Zwar zeigt das Smartphone oft eine gute Feldstärke des Mobilfunksignals an, eine brauchbare Internetverbindung kommt aber trotzdem oft nicht zustande.
Die Schweizerische Bundesbahnen (SBB), die eigentlich immer ein Vorbild in Sachen Eisenbahnbetrieb sind, haben sich gegen die Einführung von WLAN im Zug entschieden und ihre Entscheidung gegen WiFi im Zug wie folgt begründet:
- Ein WiFi Service im Zug nutzt ebenfalls die Mobilfunknetze ausserhalb des Zuges und bietet dem Reisenden kaum mehr Bandbreite als die dank Signalverstärkern gute direkte 3G/4G Verbindung. Ein WiFi System würde immer zusätzlich zu Signalverstärkern und nicht als Alternative eingebaut.
- Kundenbefragungen zeigen klar, dass ein WiFi nur genutzt würde, wenn es gratis ist. Da das WiFi System über 3G/4G ins Internet gelangt, fallen hohe Rechnungen der Mobilfunkanbieter für durch die Reisenden genutzten 3G/4G Datenvolumen an, welche die SBB bezahlen müsste. Kalkulationen zeigen, dass diese Kosten rasch in einem dreistelligen Millionenbetrag zu liegen kommen. Diese Mehrkosten müsste die Allgemeinheit finanzieren (Stichworte Kostenwahrheit, Nutzerfinanzierung). Die SBB ist gegen eine solche Subventionierung von Mobilfunk-Diensten.
Weitere Informationen
Die S-Bahn Stuttgart stellt auf folgender Seite weitere Informationen zum WLAN Testbetrieb zur Verfügung und bittet die Fahrgäste um Feedback:
http://www.s-bahn-stuttgart.de/s_stuttgart/view/aktuell/wlan.shtml
Die mit WLAN ausgestatteten Fahrzeuge sind im Einstiegsbereich mit auffälligen Aufklebern gekennzeichnet. Außerdem liegen in diesen Zügen Infobroschüren aus.
Wir werden in einem späteren Beitrag über unsere praktischen Erfahrungen berichten.
Im Hinblick auf die aktuellen Ausschreibungen durch das grüne MVI, in denen in nahezu allen Regionalzügen der Einsatz von WLAN gefordert wird, ist es nur konsequent, dass sowohl S-Bahn Stuttgart wie auch der VRS als Aufgabenträger, außerhalb des geschlossenen Verkehrsvertrages, aufeinander zugegangen sind und die Möglichkeiten von WLAN in einem klassischen S-Bahn Netz testen.
Dies ist vorausschauend und visionär. Ansonsten kann ich mir schon die Schlagzeilen hier und anders wo vorstellen, wenn dies nicht so wäre: „S-Bahn Stuttgart verpasst den Anschluss: Kein WLAN in den Zügen“, „Lange Lange – S-Bahn ohne Internet“ oder „Drahtlos in Stuttgart – Nur nicht bei der S-Bahn“…
Erfahrungsschatz mit WLAN in Regional- und Nahverkehrszügen kann man heute schon sammeln. In der Ortenau S-Bahn der SWEG wird seit einigen Monaten dieser Service angeboten:
http://www.sweg.de/html/aktuell/aktuell_u.html?t=167b53087bb27b31eca83827787d6da8&tto=cc7bcb44&&cataktuell=&m=420&artikel=5338&stichwort_aktuell=&%3Bdefault=true
Welche Erfahrungen hat dieser (landeseigene Betreiber) bislang mit dem „Free-Wifi“ in seinen Zügen gemacht?
Herr Robold, sie haben natürlich vollkommen recht. Dass es überhaupt so lange gedauert hat WLAN an zu bieten stellt dem den Technologie-Standort Stuttgart kein gutes Zeugnis aus.
Ein Besuch in Kopenhagen oder Dublin lohnt. Dort kann man feststellen wie selbstverständlich die Internet-Nutzung in öffentlichen Verkehrsmitteln inzwischen ist. In Stuttgart wären die Kunden gerade in Anbetracht der vielen Störungssituationen in den letzten Jahren sicher heilfroh gewesen wenn dieser Service zur Verfügung gestanden hätte!
Mit den Besten Grüßen
Marc Braun – s-bahnchaos.de
Lieber Herr Robold,
Sie haben uns total missverstanden. Gegen ein funktionierendes WLAN in den Zügen haben wir überhaupt nichts, ganz im Gegenteil. Solange aber in Deutschland für den Rechtsstaat die Störerhaftung viel wichtiger als der Nutzen ist, solange wird es nichts mit weit verbreiteten offenen W-LANs. Weiterhin ist die Mobilfunk-Netzabdeckung vielerorts entlang der S-Bahn-Strecken absolut unzureichend – ich denke hier stellvertretend an die Strecke zwischen Stuttgart-Hauptbahnhof (ab Überwerfungsbauwerke) und Stuttgart-Sommerrain. Ein Bekannter von mir hat sämtliche Provider ausprobiert, keine performt auf dieser Strecke in ausreichender Form.
Daher wäre es wichtiger, zuerst den Mobilfunknetzausbau voranzutreiben, bevor man eine neue Baustelle aufmacht. Das ist aber nicht die Aufgabe von VRS und der S-Bahn-Stuttgart, sondern vornehmlich der Politik. Interessant sind auch die ersten recht deutlichen Nutzermeinungen, die heute (13.01.2016) in der Stuttgarter Zeitung unter dem Titel „Internet in den S-Bahnen ist ausbaufähig“ veröffentlicht wurden und unsere Skepsis bestätigen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulli Fetzer – S-Bahn-Chaos.de
Na toll, jetzt im Moment schon wieder Störungen im Sbahn Netz. Wenn man zu blöd ist das Kerngeschäft richtig zu machen, sollte man das mit dem WLAN lieber lassen. Wird eh nicht funktionieren vor lauter Störungen.
Wieso schaut man nicht einmal, wie es Singapur macht in deren UBahn und SBahn? Singapur ist ja ein sehr strenger Staat, aber dort haben ALLE ihr Smartphone vor sich. Entweder es sind Verstärker, die die Nutzung von LTE verbessern, oder WLAN Lösungen.
Noch etwas zu den verbesserten Mobilnetz-Empfangsbedingungen: E-Netz ist zwischen Bad-Cannstatt und dem Hbf, speziell im Tunnel und unter den Bahnbrücken, fast nicht zu empfangen. Dort muß unbedingt eine weitere Sendeantenne aufgestellt werden.
Desgleichen im Tunnel zur Uni im letzten Drittel vor dem Erreichen der Uni.
E-netz und O2 interessieren ja rein gar nicht.
Kenne und nutze gratis WLAN seit Jahren in den Stadtbussen in Edinburgh, Schottland. Kein Anmelden, nur akzeptieren der Nutzungsbedingungen und los geht es. Die Ticketpreise dort sind trotzdem immernoch weit weit entfernt vom Stuttgarter Stand. WLAN: Wenn es funktioniert sehr zu begrüßen – mehr zu begrüßen wäre jedoch ein verlässliches S-Bahn-System. Wenn meine theoretische Fahrzeit auch mit der reellen übereinstimmt, dann komme ich auch ohne Internet klar. Soweiso, wird das weiter dazu führen dass zur Information bei Störungen rein auf das Internet gesetzt wird – SMS Störungsmelder wurde letztes Jahr abegschafft… toll – die Kosten für Beschaffung und Bereithaltung der Engeräte werden dann an den Kunden ausgelagert – noch toller. Auch heute Fehlanzeige – keine brauchbaren Laufbänder mit Info zum Ausfall der SBahnen, Ansagen nicht zu verstehen und unklar. Personal ist sowieso keines mehr anzutreffen (wozu dann die Erhöhungen des Fahrpreises? Der Ölpreis ist im Keller und die Personaldecke lean). Informieren Sie sich, wir informieren Sie nich – Ihre Bahn.
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