Mit Stuttgart 21 soll bekanntlich auf der heutigen S-Bahnstrecke zwischen Hauptbahnhof (tief) und dem Nordbahnhof die neue S-Bahnstation Mittnachtstraße als zusätzlicher Stammstreckenhalt eingefügt werden. Die Strecke von Hauptbahnhof (tief) zur Mittnachtstraße soll durchgängig in einen Tunnel verlegt werden. Dazu sind – und dies natürlich bei laufendem S-Bahnverkehr – umfangreiche Umbauten im Bereich der heutigen Zufahrtrampe der S-Bahnen von Feuerbach und Bad Cannstatt stadteinwärts zur Station Hauptbahnhof (tief) notwendig. Um das Baufeld für den Bau und den Anschluss des neuen Tunnels frei zu machen, soll Anfang 2019 die heutige nördliche Zufahrtrampe zur Station Hauptbahnhof (tief) – im nachfolgenden Bild ist gerade ein S-Bahnzug auf ihr unterwegs – aufgegeben werden.
Heute verlaufen die von Feuerbach und Bad Cannstatt kommenden Zufahrgleise der S-Bahn zunächst getrennt, von Bad Cannstatt kommend auf der nördlichen Rampe (wie der auf dem Bild sichtbare S-Bahnzug), von Feuerbach kommend auf der südlichen Rampe. Erst kurz vor der Station Hauptbahnhof (tief) werden sie unterirdisch in einem Gleis zusammengeführt. Zukünftig sollen die getrennten Zufahrgleise ungefähr 600 Meter früher als heute oberirdisch im von Feuerbach kommenden Gleis zusammengeführt werden, damit die nördliche Rampe nicht mehr befahren werden muss und für die Baumaßnahmen frei wird.
Die Pläne für den Umbau der S-Bahnzufahrt wurden von Dr. Bitzer von der DB-Projektgesellschaft für Stuttgart 21 am 20.09.2017 im Verkehrsausschuss des Regionalparlaments vorgestellt. Folienvortrag von Dr. Bitzer, PSU als PDF. Er sieht auch während und nach diesem Umbau die Leistungsfähigkeit der Rampe vollumfänglich erhalten. Allerdings haben wir vor Baumaßnahmen für Stuttgart 21 sehr oft überoptimistische und wenig überzeugende Beschwichtigungen im Hinblick auf die Auswirkungen gehört. Daher gibt es schon von daher kaum noch eine Grundlage für den Glauben, es werde schon gut gehen. Wir rechnen damit, dass die schon heute alles andere als üppige Leistungsfähigkeit auf der umgebauten Zufahrtrampe spürbar beeinträchtigt wird.
Während des 15-Minutentakts der S-Bahn wird beim Eintreffen eines Zuges auf der Zufahrtrampe auch zukünftig regelmäßig noch der voraus fahrende Zug in der Station Hauptbahnhof (tief) stehen oder sie gerade verlassen. Der eintreffende Zug fährt auf das neu geplante Einfahrtsignal S915 zu (siehe Bild unten), das gerade mal 50 Meter vom Bahnsteig entfernt ist. Um einen Sicherheitsabstand – in der Fachsprache „Durchrutschweg“ genannt – zu gewährleisten, darf der eintreffende Zug nur mit äußerst geringer Geschwindigkeit auf dieses, dann zunächst „Halt“ zeigende Einfahrsignal zufahren, nach Bahnregelwerk 30 km/h oder gar weniger. Und er darf dann bei der Einfahrt in die Station auch nicht schneller fahren, weil die Geschwindigkeitsbeschränkung für den Zug dabei technisch nicht aufgehoben ist. Die von Dr. Bitzer genannten 60 km/h des ankommenden Zuges auf der umgebauten Zufahrtrampe halten wir allenfalls in der Nebenverkehrszeit außerhalb des 15-Minutentakts für denkbar, wenn sich kein Zug mehr in der Station Hauptbahnhof (tief) befindet.
Die aus Dr. Bitzers Vortrag entnommene Folie zeigt, dass auch die Abstände zwischen Einfahrsignal und den davor liegenden Signalen – ungefähre Richtigkeit des angegebenen Maßstabs vorausgesetzt – kaum länger als ein aus drei Einheiten bestehender S-Bahn-Langzug sind. Dann werden auch hier auf Grund extrem kurzer Durchrutschwege nur sehr geringe Geschwindigkeiten genehmigungsfähig sein. Beim Blick weiter zurück am Zufahrtgleis entlang in Richtung Mittnachtstraße fällt außerdem Signal S914 mit einer erklärungsbedürftigen Position auf. Ein Signal wenige Meter nach einer vereinigenden Weiche ist zumindest ungewöhnlich.
Leider ist noch ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt zu erwarten: Müssen zwei S-Bahnzüge auf der umgebauten Zufahrtrampe warten, versperrt zumindest der hintere dieser beiden Züge einem auf dem S-Bahngleis von Bad Cannstatt her nachfolgenden Regionalexpress (z. B. aus Tübingen) die Einfahrt auf dessen Ankunftsgleis im Kopfbahnhof. Die ohnehin schon schwierige Trasseneinteilung im Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs wird noch schwieriger und noch anfälliger für Störungen.
Und der Ausblick auf die gesamte Situation in den kommenden Jahren lässt auch am Horizont kaum Optimismus aufkommen. 2019 beginnend wird die Zufahrtrampe für die S-Bahn wie oben beschrieben beeinträchtigt sein, bis Stuttgart 21 in Betrieb genommen wird. Diese Inbetriebnahme wird nicht 2021 stattfinden, sondern wohl zwei oder mehr Jahre später. Ob die neue S-Bahnführung über Mittnachtstraße eventuell unabhängig von den übrigen Änderungen durch Stuttgart 21 früher, sozusagen also pünktlich in Betrieb genommen werden könnte, ist bisher nicht absehbar. Und die Inbetriebnahme dieser neuen S-Bahnführung hängt nach heutiger S21-Planung überdies davon ab, dass die Gäubahn-Panoramastrecke etwa ein weiteres Jahr davor nahe Stuttgart-Nord dauerhaft unterbrochen wird, ohne dass der neue Weg für die Gäubahn über den Flughafen vorhanden wäre. Die Last dieser voraussichtlich mehrjährigen Unterbrechung wird zum überwiegenden Teil die S-Bahn zu tragen haben, denn sie muss den Fahrgästen von und nach Stuttgart-Vaihingen und weiter ins Gäu für die vorzeitig endenden Regionalzüge und die große Umwege fahrenden Fernzüge Ersatz bieten.
Eine Nebenverkehrszeit ist demnächst Geschichte. Die DB Regio bildet mit Hochdruck neue Sbahnführer aus um den 15min Takt die gesamte Netriebszeit zu fahren. Diese überwiegend sinnarme Aktion bringt zusätzlich Geld von der RegionStuttgart zur DB. Das ganze führt auch dazu, dass die angenommenen Szenarien für den Sbahnstresstest genau so belastbar ist wie die Zeitfenster bei den S1 und S2 Linien für die Gäubahn (aus 10-10-20 wird 7,5-7,5-15).
Auf jeden Fall einmal gut und nachvollziehbar Argumentiert.
Jedoch mal ein paar Anmerkungen:
– Es wird bemängelt, dass bei einen besetzten Gleis der Zug vor und nach Signal S915 nur noch 30km/h fahren darf. Ich habe nicht den Eindruck als ob das heute wirklich schneller geht. Von daher könnte das vorziehen des Signals durchaus sinnvoll sein. Wie weit ist bei den anderen Stationen (einschließlich HBF Richtung Nord) das letzte Streckensignal vom Bahnsteig entfernt?
Ich könnte mir vorstellen, dass man versucht den Zustand der anderen Bahnhöfe zu rekonstruieren.
– Da das Signal S914 schon kein normaler Zug mehr überahren muss, könnte es durchaus Sinn machen es dort zu postieren. Ein eventuell 3. wartender Zug könnte so wahrscheinlich schneller nachrücken.
– Zur beeinträchtigung des Regionalverkehrs:
Auf der Bitzer-Folie 5 sind ja beide Betriebszustände aufgezeigt.
Man sieht dass der 2. Zug bereits hinter Signal S914 steht, also komplett auf der Rampe.
Ist es nicht so, dass heute die 2. Züge in etwa so stehen wie der oben abgebildete 430er? Dieser Blockiert so wie er auf den Bild steht auf jeden Fall die Regionalgleise.
Ein weiterer Negativeffekt wurde verschwiegen: Die Anschlußsicherheit innerhalb des S-Bahn-Systems. Die Fahrdienstleiter (FdL) sind gehalten, die Reihenfolge der S-Bahn-Linien bei Einfahrt in die Stammstrecke möglichst beizubehalten, damit die vorgesehenen Anschlüsse erreicht werden. Beispiel: Die S5 fährt in Richtung Bietigheim hinter einer S1 aus Herrenberg. In Richtung Schwabstraße fährt sie vor einer S1 nach Herrenberg. Dadurch ergibt sich immer eine kurze Weiterführung von Bietigheim nach Herrenberg und zurück. Der Fahrplan ist symmetrisch konstruiert.
Kommt bisher eine S5 aus Bietigheim verspätet, so kann der FdL die pünktliche S1 ggf. auf der Tunnelrampe warten lassen. Diese blockiert dort nicht das Gleisvorfeld im Bahnhof. Über das zweite Einfahrgleis ist nun eine Überholung durch die verspätete S5 möglich. Bei geringen Verspätungen kann also dennoch der vorgesehene Anschluß gehalten werden. Die FdL haben ihre Erfahrungswerte, wie lange das geht.
Wenn es jetzt nur noch eine Tunnelrampe zur Einfahrt geben soll, nimmt man den FdL diese Handlungsoption weg. Für die Praxis bedeutet das, daß sie sich bereits wesentlich früher entscheiden müssen, welchen Zug sie vorlassen. Und dann haben sie die Wahl, ob sie die vorgesehenen Anschlüsse platzen lassen oder die Einfahrgleise für den Regionalverkehr blockieren. Aufgrund der eingeschränkten Handlungsfreiheit ist meiner Einschätzung gemäß damit zu rechnen, daß die Anschlüsse von Nord nach Süd zukünftig bereits bei geringeren Verspätungen als heute nicht mehr hergestellt werden können.