Was bedeutet die S21-Kompromisslösung „Drittes Gleis“ am Flughafen für die S-Bahn?

Beim S-Bahn-Gipfel des Verbands Region Stuttgart am 15.04. hat der Verkehrsausschuss des Regionalparlaments  der Kompromisslösung „Drittes Gleis“ im S21-Planabschnitt Rohr – Flughafen als Gesamtpaket bei nur zwei Gegenstimmen zugestimmt. Mit dieser Lösung bleibt der bestehende Terminalbahnhof wie heute der S-Bahn vorbehalten, die neue Rohrer Kurve soll ohne niveaugleiche Kreuzungen auskommen und Stuttgart-Vaihingen soll Regionalbahnhof werden. Als weiterer wesentlicher Grund für die Akzeptanz des Kompromisses wurde die Option einer S-Bahnverlängerung ins Neckartal genannt.

Was nicht zu bestreiten ist: Der Kompromiss enthält gewisse Verbesserungen, die die bisher geplante „Antragstrasse“ nicht hatte. Natürlich stellt sich die Frage, ob und was die S-Bahn in Zukunft real von dem Kompromiss hat.

Positiv:

  • Im Flughafen-Terminalbahnhof bleiben der S-Bahn beide Gleise erhalten.
  • An der Rohrer Kurve ist die niveaugleiche Kreuzung von S-Bahnen in Richtung Flughafen mit Regional- oder Fernzügen in Richtung Böblingen beseitigt.
  • Zwei Überleitverbindungen westlich des S-Bahnhofs Leinfelden sollen in einem kurzen Bereich erlauben, die Gleise in beiden Richtungen zu nutzen.

Negativ:

  • Niveaugleiche Ein-/Ausfädelung westlich vom Flughafen-Terminalbahnhof:
    Die Ein- und Ausfädelung vom/zum neuen dritten Gleis ist niveaugleich vorgesehen. Damit bleibt ein problematischer Kreuzungspunkt der Regional-/Fernzüge in Richtung Stuttgart-Hbf mit den S-Bahnzügen ebenfalls in Richtung Stuttgart-Hbf bestehen.
  • Der problematische Mischverkehr und Engpass zwischen Rohr und Flughafen bleibt erhalten:
    Geht man von den aktuellen Fahrplänen aus, bleiben dort pro Stunde und Richtung zwischen S2 und S3 je zwei 20-Minuten-Lücken, also rechnerisch je zwei einigermaßen passende Trassen für Regional- oder Fernzüge. In der morgendlichen Spitzenstunde werktags kommt zwar kein IC aus Zürich, aber es ist noch ein dritter Regionalzug von Horb nach Stuttgart unterwegs (07:57 an S-Hbf). Dieser hat zum Grundtaktzug (07:42 an S-Hbf) einen Abstand von 15 Minuten, und dies zwangsläufig, denn er muss von Herrenberg kommend zwischen die Züge der S1 passen. Nach dem heutigen Fahrplan träfe er dann nach der Rohrer Kurve exakt mit der S2 nach Filderstadt zusammen, würde also nicht passen. Und es ist äußerst fraglich, ob eine Fahrplanänderung helfen könnte. Denn die Restriktionen der Gäubahn ändern sich dadurch nicht und die Takte von S1, S2 und S3 dürfen auch nicht schlechter werden. Dieser dritte Regionalzug hätte also schon bisher nicht über den Flughafen sondern nach bzw. über Stuttgart-Vaihingen fahren müssen, oder er müsste eben ganz wegfallen.
  • Zahlreiche Umsteiger vom Regionalzug in die S-Bahn in Stuttgart-Vaihingen:
    Die Kompromisslösung sieht einen Regionalbahnhalt in Stuttgart-Vaihingen vor, was natürlich zu begrüßen ist. Da aber die Regionalzüge entweder in S-Vaihingen „Kopf machen“ oder über die Panoramastrecke der Gäubahn in Richtung Zuffenhausen – Ludwigsburg fahren müssen, hätte die S-Bahn in S-Vaihingen zusätzlich alle Regionalbahnreisenden aufzunehmen, die in die Innenstadt wollen. Und das sind viele.
  • Verdichtung des S-Bahnverkehrs auf den Fildern ist auf Dauer ausgeschlossen:
    Wenn zwischen Rohr und Flughafen dauerhaft je Richtung zwei Trassen für Regional- oder Fernzüge belegt würden, müsste man einen Ausbau des S-Bahnverkehrs auf den Fildern durch einen durchgängigen 10-Minutentakt – oder auch einen gelegentlichen, z. B. bei Großmessen – wohl zu den Akten legen. Verlängerung der S2 im heutigen Takt vielleicht noch bis Neuhausen, aber das war es dann. Die vollmundigen Ankündigungen einer zukünftigen Erschließung des Filderraums durch die S-Bahn, mit denen seinerzeit die Planung und Einführung der S-Bahn zum Flughafen begleitet wurden, wären damit vergessen.
  • Verlängerungsoption der S-Bahn ins Neckartal:
    Die insbesondere von Regionalpräsident Bopp sehr betonte Option einer Verlängerung der S-Bahn ins Neckartal ist fragwürdig und kaum verwertbar. Die S-Bahnen vom Terminalbahnhof über die Neubaustrecke bis Wendlingen „düsen“ zu lassen, um dann Richtung Reutlingen abzubiegen, ist technisch zwar denkbar, würde den Regionalzügen aber vermutlich unnötige Konkurrenz machen. Stattdessen in Wendlingen Richtung Plochingen abzubiegen und den Ringschluss zu ermöglichen, würde ein ziemlich aufwändiges Kurvenbauwerk verlangen, das bisher in den S21-Plänen nicht angedacht ist. Die S-Bahn auf der ICE-Strecke würde obendrein den in der S21- bzw. NBS-Planung schon jetzt absehbaren „Flaschenhals“ in Wendlingen noch verschärfen. Da läge doch die weitere Erschließung des östlichen Filderraums über Neuhausen hinaus bis hin zum Ringschluss nach Plochingen erheblich näher, wie sie z. B. die Schutzgemeinschaft Filder mit dem sogenannten Köngen-Turn (Y-Brücke bei Köngen mit der Möglichkeit das Neckartal sowohl in Richtung Plochingen als auch in Richtung Nürtingen zu erreichen) vorgeschlagen hat. Allerdings muss sich schon die Verlängerung bis Neuhausen in einer „Ochsentour“ durch die Standardisierte Bewertung etc. jede einzelne Million für ihre Umsetzung sauer verdienen, und um Kosten zu sparen, wurde sie obendrein vom S-Bahnstandard auf Regionalbahnstandard herabgestuft. Für die beschriebene Kompromisslösung dagegen macht der Verband Region Stuttgart offenbar recht einfach mal zusätzliche 20 Millionen locker. Sind dies noch gleiche Maßstäbe? Oder: Ist der Regionalverband bei Stuttgart 21 womöglich erpressbar geworden?

Welches Fazit kann man aus der Kompromisslösung „Drittes Gleis“ für die S-Bahn ziehen?
Die von der Bahn bisher geplante Antragstrasse wäre für die S-Bahn zweifellos eine sehr schlechte Lösung gewesen, so schlecht, dass es sich eigentlich nicht geziemt, mit ihr überhaupt einen Vergleich anzustellen. Der jetzt gefundene Kompromiss „Drittes Gleis“ enthält demgegenüber positive Veränderungen. Aber sie helfen nicht viel, denn es handelt sich noch immer um eine schlechte Lösung. Mit Sicht auf die Zukunft der S-Bahn wäre es enttäuschend, wenn der Verband Region Stuttgart sich damit zufrieden gibt.

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