Die DB Netz AG hat eine über ein Jahr dauernde Untersuchung zur Modernisierung der Signaltechnik für die Stuttgarter S-Bahn, speziell für die Stammstrecke Hbf – Schwabstraße durchgeführt. Am 19.10.2016 wurden die Ergebnisse dieser Untersuchung in zusammengefasster Form dem Verkehrsausschuss des Regionalparlaments vorgestellt. Es wurde die vom System her der heutigen PZB-Signalisierung entsprechende Ks-Signalisierung mit ETCS Level 2 verglichen. Dabei wurde untersucht, ob und in welchem Umfang sich mit den beiden Alternativen die Zugfolgezeit reduzieren lässt oder, anders gesagt, wie viele S-Bahnzüge pro Stunde mehr auf der Stammstrecke fahren könnten gegenüber heute. Das eher ernüchternde Ergebnis wird unten noch beschrieben. Eine Zusatzinformation wiegt noch schwerer: Beide Techniken benötigen ein neues, elektronisches Stellwerk (EStW), das nach heutiger Planung der DB frühestens 2021/2022 einsatzfähig sein wird. In die jetzt installierte Signaltechnik möchte die Bahn nicht mehr investieren. Heißt dies dann: 5 oder 6 Jahre weiter so wie bisher, mit allen Mängeln und Problemen, die der S-Bahn heute täglich das Leben schwer machen?
Zunächst noch etwas konkreter zu den Ergebnissen. Ein wesentliches Ziel der Untersuchung der beiden Alternativen war die Errechnung der sogenannten Mindestzugfolgezeit, also des kürzest möglichen zeitlichen Abstands zwischen zwei Zügen auf der Stammstrecke.
Für die Ks-Signalisierung hat man errechnet:
- in Fahrtrichtung Süd-Nord reduziert sich die Mindestzugfolgezeit von heute 141 auf 140 Sekunden,
- in Fahrtrichtung Nord-Süd reduziert sich die Mindestzugfolgezeit von heute 137 auf 136 Sekunden.
Mit Ks-Signalisierung würde sich die Mindestzugfolgezeit also um weniger als 1%, mithin vernachlässigbar gering reduzieren.
Für ETCS Level 2 hat man errechnet:
- in Fahrtrichtung Süd-Nord reduziert sich die Mindestzugfolgezeit von heute 141 auf 128 Sekunden,
- in Fahrtrichtung Nord-Süd reduziert sich die Mindestzugfolgezeit von heute 137 auf 129 Sekunden.
Mit ETCS ist die Reduzierung zwar nicht spektakulär, aber erkennbar: man würde eine Reduzierung von 9,2% für Süd-Nord und von 5,8 % für Nord-Süd erreichen.
Dies lässt sich auch in einer theoretischer Leistungsfähigkeit, gemessen in Zügen pro Stunde, ausdrücken:
- mit Ks-Signalisierung würde sich die theoretische Leistungsfähigkeit so gut wie gar nicht verändern,
- mit ETCS Level 2 könnten in Fahrtrichtung Süd-Nord statt bisher 25,5 zukünftig 28,1 Züge pro Stunde, in Fahrtrichtung Nord-Süd statt bisher 26,3 zukünftig 27,9 Züge pro Stunde fahren.
Es handelt sich hierbei wohlgemerkt um rechnerische Werte, und es wird ehrlicherweise auch von der theoretischen Leistungsfähigkeit gesprochen. Die Bewertung dieser Ergebnisse würde ich mit „nicht spektakulär, eher ernüchternd“ ausdrücken, weil sie deutlich machen, dass auch mit ETCS Level 2 die Erweiterung des S-Bahnverkehrs auf der Stammstrecke um eine weitere vollwertige S-Bahnlinie im Bereich der Theorie verbleibt. Dagegen könnte ETCS nach dieser Rechnung einen Beitrag dazu leisten, Verzögerungen durch Haltezeitüberschreitungen einzelner Züge etwas schneller wieder auszugleichen. Es bleiben aber noch Fragen. So wäre noch eine Klärung hilfreich, mit welchen konkreten Haltezeiten der einzelnen Züge an den Haltepunkten gerechnet wurde. Der in den Vortragsfolien aufzufindende Hinweis, die Rechnungen seien „basierend auf der planmäßigen Haltezeit von 30s“, lässt noch Zweifel aufkommen. Wir sind auch noch immer nicht überzeugt davon, dass der in den Simulationsergebnissen ausgewiesene Vorteil von ETCS gegenüber Ks-Signalisierung tatsächlich so ist. Wir wollen, soweit es uns möglich ist und ermöglicht wird, noch dahingehend recherchieren, ob die Ks-Signalisierung in der Untersuchung tatsächlich „ausgereizt“ wurde. Die tatsächlich erwartbaren Vorteile von ETCS gegenüber Ks-Signalisierung sind voraussichtlich dann einen separaten Beitrag wert.
Eine gute Nachricht brachten die Vortragenden der DB dennoch mit, dass nämlich die Ks-Signalisierung in jedem Fall installiert werden soll, also auch dann, wenn das im Zuge von Stuttgart 21 zur Einführung vorgesehene ETCS auf die Stammstrecke der S-Bahn ausgedehnt werden sollte. Dies trägt auch früher an dieser Stelle geäußerten Zweifeln an der Leistungsfähigkeit von ETCS und dessen zeitlicher Verfügbarkeit Rechnung: die S-Bahn ist nicht mehr abhängig davon, dass die Einführung des heute noch nicht verlässlich einschätzbaren ETCS auf Biegen und Brechen erfolgen muss, um endlich eine alte ausfallgefährdete Signaltechnik zu ersetzen. Auch braucht der heute eingesetzte Fahrzeugpark der S-Bahn für Ks-Signalisierung nach unserem Wissen kein nennenswertes Upgrade seiner installierten Technik, Hardware und Software. Seitens der Fahrzeuge könnte es mit dem EStW also schnell gehen. Und schließlich stellt die Ks-Signalisierung auch eine Rückfallebene bei Ausfall von ETCS dar und verhindert, dass im Störfall für die S-Bahnzüge nichts mehr oder nur noch ein „Schleichen auf Sicht“ geht.
Und es muss auch nicht auf ganzer Linie ein „weiter so wie bisher“ sein. Die angekündigten Instandhaltungen der DB im Bereich der Gleise, Weichen und Haltepunktanlagen sind nicht von der Erneuerung des Stellwerks abhängig, können also stattfinden und werden hoffentlich einen Teilerfolg auf dem Weg der Besserung bringen.
Neue Signale können dagegen erst mit einem neuen EStW in Betrieb gehen. Das heutige, auf Relaistechnik basierende Stellwerk kann weder Ks-Signalisierung noch ETCS. Sehr schlimm für die Stuttgarter S-Bahn ist es, dass es so lange dauern soll, bis ein erneuertes Signalsystem in Betrieb genommen werden kann. Dieser Umstand ist auch mit Stuttgart 21 in Zusammenhang zu bringen, denn der Bau eines neuen EStW scheint zumindest heute kaum mehr aus der S21-Bauplanung herauszulösen zu sein und ist somit allen Planungs- und Umsetzungsrisiken dieses Projekts unterworfen. Da auf Grund der bisherigen Entwicklung und des heutigen Projektstands für S21 eine längere Umsetzungsdauer nicht mehr auszuschließen ist, kann sich auch die Fertigstellung des EStW verzögern. Wir kennen aber Aussagen aus üblicherweise gut informiertem Kreis, dass ein EStW von seiner Technik her übergangsweise selbst in hochwertigen Bürocontainern untergebracht werden könnte. Es handele sich nicht mehr um voluminöse Gerätschaften, nur die Stromversorgung und Verkabelung müsse stimmen. Vielleicht gibt es daher doch Hoffnung, die Verbesserungen für die S-Bahn schneller zu bekommen.
Allerdings wird es sich nicht empfehlen, einen tagsüber durchgängigen 15-Minutentakt bei der S-Bahn vor der Erneuerung des Signalsystems einzuführen.
Vielleicht wäre ein Schrankensystem (Beispiel Metro Paris) in den Bahnhöfen Hauptbahnhof bis Schwabstrasse eine Lösung damit zumindest die Haltezeit reduziert werden kann und so im Berufsverkehr mehr geht.
Hallo Andreas,
ich nehme an, Sie meinen nicht die Glastüren an der Bahnsteigkante, so wie sie beim vollautomatischen Verkehr einzelner Metrolinien installiert sind. Aber auch Drehkreuze wären bei uns nicht nur ungewohnt, sondern sind auch hinderlich und überdies aufwändig, da man ja die Aufzüge auch berücksichtigen muss. Drehkreuze oder „Sperren“ wie sie im Bahnverkehr bis in die 1950-er Jahre üblich waren, wurden aus dem Aspekt der „Schwarzfahrer-Vermeidung“ schon mal überlegt, aber verworfen. Sie müssten ja auch schon in den Zwischengeschossen vor den Treppen und Rolltreppen installiert werden. Dort positionierte Sperren / Drehkreuze wären aber wahrscheinlich zu weit von den Zügen entfernt, als dass man sie für eine wirksame Einstiegssteuerung oder -begrenzung verwenden könnte. Für die Positionierung von Sperren / Drehkreuzen auf dem Bahnsteig fehlt schlicht der Platz. Bei laufenden Rolltreppen wären auch zeitweise blockierte Sperren auf dem Bahnsteig mit kaum kalkulierbarem Stau- und Verletzungsrisiko verbunden. An die aktuelle Problematik hatten die Planer seinerzeit wohl nicht gedacht. Leider.
Freundliche Grüße
Klaus Wößner