Ursachenforschung der S-Bahn-Verspätungen

Am 3.2.2016, einen Tag nach einer Pressekonferenz des VCD mit dem Titel VCD-Konzept für den Ausbau des Stuttgarter Eisenbahnnetzes, die StZ und StN berichteten,  fand eine Sitzung des Verkehrsausschusses des Regionalverbands Stuttgart (VRS) statt, bei dem vorrangig S-Bahn-Themen besprochen wurden. Die StZ berichtete.

Bei der VCD-Pressekonferenz war die S-Bahn zwar nicht das Hauptthema, trotzdem wurden einige interessante Punkte auch für die S-Bahn thematisiert. So wurde u.a. das nicht zukunftssichere Konzept der neuen S-Bahn-Station Mittnachtstraße bemängelt, bei dem der Geburtsfehler der Stuttgarter Stammstrecke wider besseres Wissens wiederholt wird. Durch sie wird die bereits schon heute überlastete Stammstrecke durch eine weitere Station mit nur einem Mittelbahnsteig und der bereits vor der Station zusammengeführten Tunnelstrecken von Bad Cannstatt und Feuerbach verlängert, statt dem bewährten Beispiel München zu folgen. Dort wurden die Außenäste nämlich erst nach den Haltepunkten mit dort noch getrennten Gleisen in die Stammstrecke eingefädelt und die besonders stark frequentierten Stationen der Stammstrecke wie zum Beispiel am Hauptbahnhof mit ‚Spanischen Bahnsteigen‘ ausgestattet, d.h. Bahnsteige auf beiden Seiten der Stationen angelegt, um Ein- und Aussteiger voneinander zu trennen.

Selbst die CDU-Fraktion des VRS bat um Prüfung, ob für die Station Mittnachtstraße nicht wenigstens die Realisierung von solchen Spanischen Bahnsteigen nach Münchner Vorbild möglich sei. Dieses Ansinnen hat die DB bereits mit ‚zu spät, Rohbau bereits fertig‘ abgelehnt. Tja, wer zu spät kommt … Vielleicht hätten sich die Regionalräte bereits schon vor Jahren, d.h. vor dem Baubeginn, mit dem Thema intensiver beschäftigen sollen. Eventuell hätten sie dann sogar die Realisierung der sogenannten T-Spange, nämlich einem direkten Abzweig aus dem Bad Cannstatter S-Bahn-Tunnel in Richtung Feuerbach, bereits im Rahmen der jetzigen Bauarbeiten für sinnvoller und zukunftssicherer angesehen als das Nadelöhr Stammstrecke noch weiter zu verschlechtern. Es ist unverständlich, dass man bereit ist, 10 oder mehr Milliarden € für ein Projekt auszugeben und dann für wirklich sinnvolle Verbesserungen angeblich kein Geld hat. Jedenfalls wird eine spätere Realisierung viel teurer.

Der VRS geht zwar davon aus, dass der wegen der hohen Fahrgastwechselzeiten während der HVZ besonders kritische Halt Stuttgart Hauptbahnhof (tief) in Zukunft um 20% der ein- und aussteigenden Fahrgäste entlastet wird. Dies, weil die Umsteiger aus Richtung Bad Cannstatt in Richtung Feuerbach und umgekehrt dann bereits in der Station Mittnachtstraße umsteigen. Außerdem wird ein Teil der Fahrgäste zum Flughafen nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 die S-Bahn gar nicht mehr benutzen oder in die S-Bahn zum Flughafen umsteigen müssen, sondern bereits vorher, d.h. in Ludwigsburg, Backnang, Schorndorf, Böblingen usw. einen Regionalzug zum Flughafen benutzen oder bereits vorher in einen solchen umsteigen. Die Frage, wie viel Prozent aller S-Bahn-Fahrgäste eigentlich zum Flughafen wollen oder vom Flughafen kommen, muss allerdings gestattet sein. Nach unseren Informationen wurde diese Zahl nämlich nie seriös ermittelt, eigentlich wie fast alles bei Stuttgart 21.

Während der Verkehrsausschusssitzung wurde das Ergebnis des 1. Teils (Ist-Zustand 2015) der vom VRS beauftragten Fahrplanrobustheitsprüfung S-Bahn Stuttgart vorgestellt. Das Dokument liegt S-Bahn-Chaos.de vor. Wir fragen uns, wieso ausgerechnet die DB Netz AG und nicht ein unabhängiger Gutachter mit dieser Prüfung beauftragt wurde.

Es wurde festgestellt, dass die Stammstrecke auf Grund der hohen Fahrgastwechselzeiten und der bereits von außen mitgebrachten Verspätungen in der HVZ mit einem Zugabstand von nur 2,5 Min eine der Hauptursachen der Verspätungen darstellt, dass aber auch die viel zu kurz bemessenen Wenden (hauptsächlich in Schorndorf, Backnang und Weil der Stadt)  und die Mischverkehrsstrecken hierzu einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten. Die zu kurz bemessenen Wenden werden vermutlich durch die ab Mitte 2016 ausgelieferten neuen Fahrzeuge entschärft. Was die Mischverkehrsstrecken betrifft, wird immer wieder beispielhaft der 4-gleisige Abschnitt zwischen Bad Cannstatt und Stuttgart Hbf genannt, weil dort gelegentlich auch Regionalzüge die eigentlich für die S-Bahn S1-S3 vorgesehenen S-Bahn-Gleise benutzen. Das gilt aber nicht für die Nordlinien S4-S60, bei denen S-Bahn- und Ferngleise getrennt sind. Die Verspätungen werden nämlich häufig bereits von den Außenästen mitgebracht. Der Grund hierfür sind häufig Überholungen durch verspätete Nahverkehrs- und Fernzüge, aber auch Güterzüge.

Ein weiterer Verspätungszuwachs entsteht bei der Zusammenführung der Gleise in die zweigleisige Stammstrecke, sowohl vor dem Hauptbahnhof als auch vor Stuttgart Schwabstraße. Vor dem Hauptbahnhof nicht zuletzt auch durch die nach dem Umbau des Gleisvorfelds im Rahmen von Stuttgart 21 auf die von 2*2 auf 2+1 Gleise verminderte Zufahrt/Abfahrt in die Stammstrecke bei Stuttgart Hbf. Man muss fast schon froh sein, dass die DB ihre ursprüngliche Absicht,  die Zufahrt/Abfahrt gleich auf nur noch insgesamt 1+1 Gleise zu reduzieren, um in Ruhe die Trasse zur Mittnachtstraße bauen zu können, nach einem gewaltigen Pünktlichkeitseinbruch aufgegeben hat.

Bei der Robustheitsprüfung wurden u.a. die relativ hohen Haltezeitüberschreitungen in Stuttgart-Universität Nord-Süd-Richtung mit dem langen Blockabschnitt in Österfeld (1630 m) begründet. Diese Aussage hat natürlich gleich die ETCS-Fans auf den Plan gerufen, die in ETCS das Wundermittel sehen. Meine Damen und Herren Regionalräte, Sie sollten wissen, einen kurzen Blockabstand kann man auch mit herkömmlicher Technik (PZB) erreichen. Denn auch mit ETCS müssen zwei Züge hintereinander herfahren und der Abstand  zwischen den beiden Zügen muss zu jeder Zeit so groß sein, dass der hinterher fahrende Zug jederzeit anhalten kann, wenn der vorausfahrende aus welchem Grund auch immer – möglicherweise sogar abrupt – zum Stehen kommt. Sie verstehen sicher, dass daher der Abstand um so größer sein muss, je höher die Geschwindigkeit des hinterherfahrenden Zuges ist.

Der 2. Teil der Prüfung (Soll-Zustand mit Stuttgart 21) soll beim nächsten sog. S-Bahn-Gipfel im April 2016 vorgestellt werden. Wir sind insbesondere gespannt, wie die DB Netze AG die neue Station Mittnachtstraße und die neue Mischverkehrsstrecke auf den Fildern beurteilt, die bisher nur von der S-Bahn befahren wird und mit voller Absicht auch nur als S-Bahn-Strecke konzipiert wurde. Die Planung als Mischverkehrsstrecke galt lange Zeit als nicht genehmigungsfähig und wurde erst nach einer zeitlich befristeten Ausnahmegenehmigung des früheren Bundesverkehrsministers Ramsauer vom EBA angenommen.

Immerhin ist diese Strecke zwischen der neuen Rohrer Kurve und dem Flughafen nur zweigleisig, auch an den auf der Strecke liegenden 3 Haltepunkten Oberaichen, Leinfelden und Echterdingen, durch die in Zukunft sogar ICEs rauschen sollen. Auf der ach so schlimmen (nur gelegentlichen) Mischverkehrsstrecke zwischen Bad Cannstatt und Stuttgart Hbf gibt es keinen Halt! Bei der Anhörung zum PFA 1.3 hat der von der Stadt Leinfelden-Echterdingen beauftragte Gutachter Dr. Steinborn (TU-Dresden) den vorgesehenen Fahrplan als eigentlich unfahrbar identifiziert, obwohl er ausdrücklich nur den Abschnitt Rohr-Flughafen untersuchen durfte, der jedoch keinesfalls isoliert betrachtet werden kann, weil er einen Einfluss auf das gesamte Stuttgarter Eisenbahnnetz haben wird.

Ein Gedanke zu „Ursachenforschung der S-Bahn-Verspätungen

  1. S-Bahn-Nutzer

    Darauf, dass der S-Bahnhof Mittnachtstraße zu gering dimensioniert ist, hatte ich schon mehrfach bei S-Bahn, VRS, VVS, DB Projektbau S21 etc. hingewiesen. Dort wurde der „Schwarze Peter“ immer herumgereicht, was heute ja eine gängige Praxis ist – keiner wills gewesen sein. Ich begrüße, dass nun von Seiten der Politik ein Vorstoß bezüglich der mangelnden Kapazität des S-Bahnhofs erfolgt. Ich hoffe der (S-Bahn-)Zug zur Steigerung der Kapazität hat in diesem Falle Verspätung und ist noch nicht abgefahren.

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