Der Verkehrsausschuss des Regionalparlaments zitierte dieses Jahr erneut die DB Regio S-Bahn, die DB Netz und den VVS in seine Sitzung am vergangenen Mittwoch, den 05.07.2017, zum sogenannten S-Bahn-Gipfel.
Gründe und Themen gab es dafür auch diesmal reichlich. Der Chef der Stuttgarter S-Bahn, Dr. Rothenstein, verstand es, mit seiner Darstellung den Ausschussmitgliedern der einzelnen Fraktionen manches lobende Wort zu entlocken. Ob er dieses Lob erhalten hätte, wenn er im Verkehrsausschuss im gleichen Tenor vorgetragen hätte wie er in einem Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 29.06. wiedergegeben wurde, dessen Überschrift von einer „Durststrecke“ für die S-Bahn sprach?
Dr. Rothenstein konnte Fortschritte und Teilerfolge der von der Bahn ergriffenen Maßnahmen deutlich machen. Die Kommentare der Regionalparlamentarier lauteten zusammengefasst etwa so:
- Man habe das Gefühl, dass die Maßnahmen langsam greifen (Eva Mannhardt, Bündnis90/Die Grünen), sich etwas zum Positiven bewegt (Bernhard Maier, Freie Wähler) und die Bemühungen anerkennenswert seien (Rainer Ganske, CDU). Armin Serwani von der FDP begrüßte die bereits begonnene Bemühung, durch Fahrplananpassungen die Umstiege auf Anschlussverkehrsmittel zu entschärfen, die bisher bei bereits sehr geringen Verspätungen der S-Bahn den Fahrgästen häufig misslangen und lange Wartezeiten bescherte. Ebenso positiv sah er die Weiterführung des sogenannten Instandhaltungsfensters in der Nacht von Montag auf Dienstag auch im Jahr 2018.
- Dennoch befinde sich die S-Bahn noch immer in der Krise, deren Hauptverantwortung laut Harald Leipnitz von der SPD die DB Netz trage, weil man das Netz lange Zeit habe verlottern lassen. Dr. Korneffel von der Gruppe Innovative Politik attestierte der augenblicklichen Pünktlichkeit der S-Bahn allenfalls Mittelmaß, flankierte seine Kritik allerdings wie schon öfter mit illusorischen Zielvorstellungen. Ferner wurde problematisiert, dass man weitere Fahrzeuge brauche, die man aber auf absehbare Zeit nicht bekomme. Kritisch und mangelhaft wurde unisono die Fahrgastinformation angesehen, namentlich im Fall von Störungen.
Wir wollen Verbesserungen gerne anerkennen, aber Anlass zu Euphorie ist es bestimmt noch nicht, wenn (siehe nachfolgende Abbildung) die mittlere Pünktlichkeit in den ersten vier Monaten 2017 gegenüber dem Gesamtjahreswert 2016 um 0,7 Prozentpunkte gestiegen ist. Die Werte weisen zwar in eine erfreuliche Richtung, lassen im Diagramm jedoch die Steigerung durch den verwendeten Maßstab etwas zu spektakulär erscheinen. Im Hinblick auf die minimale Pünktlichkeit von 86% bis 4/2017 sowie auch für das gesamte Jahr 2016 von 81% werden wir noch hinterfragen, wie viele Vollausfälle von S-Bahnzügen in den Zahlen berücksichtigt sind. Wir werden über die Antworten dazu berichten und uns wäre nichts lieber als dass sie positiv ausfallen.
Im genannten Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 29.06. klang Dr. Rothenstein auch eher verhalten und nachdenklich: „ Ich bin skeptisch, ob wir die früheren guten Pünktlichkeitswerte wieder erreichen werden“, wird er zitiert. Dort hat er unangenehme, aber durchaus ehrliche Informationen aufgetischt: Die S-Bahn fährt am Limit! Eine Entlastung der S-Bahn sieht er zum einen erst mit der Fertigstellung des Bahnprojekts Stuttgart 21 kommen, mittlerweile avisiert auf 2023. Das ist noch richtig lange und die Entlastung könnte sich als Illusion herausstellen. Denn z. B. die teilweise Entlastung der S-Bahn durch die Regionalzüge zum Flughafen könnte durch Nachfragezuwachs – dieser nicht zuletzt auf Grund der drohenden Einschränkungen des Individualverkehrs mit dem Ziel der Schadstoffreduzierung in der Luft — längst egalisiert oder gar überkompensiert sein, noch weit bevor das erste Rad im neuen Tiefbahnhof rollt. Den Mischverkehr der S-Bahn mit Regionalzügen zwischen Bad Cannstatt und Stuttgart Hbf möchte man mit S21 abschaffen, doch führt man ihn an anderer Stelle auf den Fildern ein, wo er womöglich weit mehr belastet als zwischen Bad Cannstatt und Hauptbahnhof.
Zum zweiten sieht Dr. Rothenstein mit den avisierten Metropolexpresszügen Erleichterung für seine S-Bahn am Horizont. Das stimmt schon eher hoffnungsfroh, weil diese wenigstens zum Teil auch heute schon fahren könnten. De facto ist aber noch nicht sicher, wann der erste „MEX“ wirklich fahren wird. Und ETCS wird es auch nicht so schnell geben, weil dafür das heutige Stellwerk am Hauptbahnhof durch ein elektronisches Stellwerk ersetzt sein muss. Ob und welche Erleichterung dieses System mit wenigen Sekunden Gewinn in der Zugfolgezeit wirklich bringen könnte, muss sich in der bevorstehenden Machbarkeitsstudie auch erst noch verifizieren.
Dr. Rothenstein berichtete in seinem Vortrag von einer ‚deutlichen‘ Erhöhung der Investitionsmittel.
Diese Darstellung ist allerdings kritikwürdig. Während die Bestandsnetzinvestitionen in der Dimension richtig sichtbar sind, werden für Entstörung und Prävention & Wartung nur die Spitzen der Balken gezeigt. Wenn die Regionalräte dort nur die Höhe der Balken, nicht aber deren Beschriftung wahrgenommen haben sollten, konnten sie zu dem Schluss kommen, dass die Mittel in 2016 mehr als doppelt so hoch als in 2011 waren. In Wirklichkeit sind diese Mittel mit 13% bzw. 16% nicht deutlich, sondern nur marginal erhöht worden.
Andere Berichte vom S-Bahn-Gipfel:
Wer beim S-Bahn Gipfel auf Informationen zu den überarbeiteten, ausfahrbaren Schiebetritten bei den S-Bahnzügen der neueren Baureihe 430 gehofft hatte wurde enttäuscht. Die Bahn sprach das Thema in ihrem Vortrag überhaupt nicht an und niemand vom Verkehrsausschuss fragte nach.
Im Ende Juni veröffentlichten Artikel von StZ und StN war von einer Inbetriebnahme im Jahr 2018 die Rede, ca. 1 Jahr später als ursprünglich geplant. Es hat für mich den Anschein, dass dieses Thema allen Beteiligten mittlerweile peinlich ist und dass man deshalb den Mantel des Schweigens darüber ausbreitet. Mittlerweile bestreitet niemand mehr, dass selbst störungsfreie Schiebetritte pro Halt mehrere wertvolle Sekunden kosten, die ausgerechnet bei den unpünktlichsten S-Bahnlinien S1, S2 und S3 beim Kampf für eine bessere Pünktlichkeit schmerzlich fehlen würden.
Nur dem Piraten Ingo Mörl von der Fraktion der LINKEN fielen die geschönten Balken der Diagramme auf, die andere Fraktionen lobten hingegen die massiv gesteigerten Investitionen der Bahn. Hierzu möchte ich folgendes anmerken:
Gesteigerte Ausgaben beim Thema Entstörung weisen in erster Linie auf eine Zunahme der Störungen hin und das ist kein gutes Zeichen.
Um 16 % gesteigerte Ausgaben beim Thema Prävention & Wartung über einen Zeitraum von 5 Jahren entspricht einer jährlichen Steigerung von ca. 3 %. Das ist in etwa der Prozentsatz, den die Bahn Jahr für Jahr bei den Verhandlungen über die nächste VVS Tariferhöhung als Mehraufwände wegen gestiegene Kosten (Tariferhöhungen, allgemeine Teuerung) geltend macht. Die höheren Ausgaben für Prävention & Wartung wurden somit weitgehend von den Kunden getragen und führten auch nicht zu mehr Prävention & Wartung.
Danke für die gute Auswertung und auch die Hinweise auf die Tricksereien bei den Diagrammen!
Da kann ich mich nur anschliessen. Ebenfalls ein Dankeschön von mir für diesen sehr interessanten Beitrag über diesen S-Bahn-Gipfel. Man bekommt den Eindruck, dass sich hier „richtige Profis“ die wirklich „richtigen Fragen“ stellen. Interessant wäre mal zu wissen, wer von den Teilnehmern am S-Bahn-Gipfel tatsächlich öfters mal die S-Bahn in Stuttgart benutzt.
Gerade in den letzten Tagen durfte ich nämlich immer wieder feststellen, dass es bei der S-Bahn Stuttgart erhebliche Probleme und Mängel gibt: Verspätungen, Ausfälle, fehlende oder falsche Informationen (Ich hatte tatsächlich vor kurzem einen Langzug, da fuhren die ersten beiden Garnituren laut Anzeige an der S-Bahn in Richtung Herrenberg, und die dritte Garnitur in Richtung Kirchheim! Keine Ahnung, wie so etwas möglich ist?)
Und vermutlich sind die Ausfälle von S-Bahnen gar nicht immer einfach zu erfassen. Denn diese Ausfälle bringen gerade in den Aussenbereichen des VVS eine grosse Verspätung für die Fahrgäste mit sich.
Zählt eigentlich eine S-Bahn, die anstatt durch den Tunnel über die Gäubahnstrecke umgeleitet wird auch als Teilausfall? Denn immerhin entfallen ja für viele Leute die Halte.
Die Geschichte mit den Schiebeschritten entwickelt sich auch immer mehr zur Posse! Das macht mich wirklich traurig, denn dieses Geld hätte man an anderer Stelle wohl deutlich sinnvoller einsetzen können.