Tarifwirrwarr bei der DB – oder: eine miserable Beratung im Videoreisezentrum

Das Tarifsystem in Deutschland ist bekanntlich nicht das Einfachste. Insgesamt 22 (!) Verkehrsverbünde in Baden-Württemberg besitzen eigene Waben-, Zonen- oder Ringsysteme zur Berechnung der Fahrkartenpreise, dazu kommt der neue „bw-tarif„, die Fernverkehrstarife der DB und die Kooperationstarife zwischen Verkehrsverbünden. Zusätzlich gibt es dutzende Spezialangebote: Vom Baden-Württemberg-Ticket über das Metropol-Tages-Ticket und das deutschlandweite „Quer-durchs-Land Ticket“ bis zum „Regio-X„-Ticket gibt es viel Auswahl. Oft unterscheiden sich diese Tickets nur in Nuancen, so kostet das BW-Ticket nur 3 € mehr als das MTT, gilt aber in mehr Verkehrsverbünden, das QDL hingegen ist nur in einem Teil der Verbünde, dafür in ganz Deutschland, gültig.

Noch komplizierter ist es am Bahnhof: Seit der Liberalisierung der Eisenbahn können die Bundesländer, die Besteller und Finanzierer des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) sind, Leistungen ausschreiben. Dies bedeutet, das im Regionalverkehr nicht mehr automatisch die staatliche DB-Regio den Auftrag bekommt. In den sogenannten „Stuttgarter Netzen“ sind beispielsweise ausnahmslos ausländische Nahverkehrskonzerne unterwegs, die unter den Namen Go-Ahead (GABW) und Abellio (ABRBW) derzeit mehr schlecht als recht die Züge in der Region betreiben. Dies bringt mit sich, dass an den Haltestellen, wo GABW oder ABRBW fahren, eigene Ticketautomaten aufgestellt werden – natürlichen mit anderer Menüführung, anderen Funktionen und unterschiedlichem Ticketangebot.

Betreiber und Auftraggeber

Betreiber und Auftraggeber in der Region Stuttgart

An Bahnhöfen mit mehreren Betreibern gibt es dann auch verschiedene Automaten nebeneinander, wie beispielsweise in Plochingen, wo der rote Automat von DB-Vertrieb (aufgestellt aufgrund des Vertrages mit der S-Bahn Stuttgart) neben einem „bwegt“-farbenen DB-Automat (Ausschreibung BW-Netz 5) neben einem ebenfalls gelben Abellio-Automat (Ausschreibung BW-Netz 1a, siehe Bild) steht – und natürlich ist die Bedienung auch bei allen Modellen unterschiedlich! Teilweise, wie z.B. bei den Abellio-Automaten, ist das Lösen eines Fernverkehrstickets trotz Aufschrift nicht möglich!

Abellio Automat Ludwigsburg

Ein Abellio Automat am Bahnhof Ludwigsburg, der entgegen der Aufschrift KEINE Fernverkehrstickets verkauft und eine komplizierte Menüführung aufweist.

Diesem Tarifwirrwarr kann man nur mit einiger Erfahrung einen günstigen Preis entlocken, vor allem dann, wenn die Fahrten verbundübergreifend oder in Kombination mit dem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr der DB stattfinden.

In solch einem Fall würde man sich gerne an ein Reisezentrum wenden. In Korntal wurde kürzlich (wir berichteten) das klassische Reisezentrum mit erfahrungsgemäß guter Beratung durch ein Videoreisezentrum ersetzt.

Videoreisezentrum in Korntal

Das neue Videoreisezentrum am Bahnhof Korntal

Dieses Videoangebot habe ich am 17.07.2020 gegen 8:00 Uhr an einem konkreten, nicht allzu komplizierten Beispiel getestet:

Gebucht werden sollte eine Fahrt von Stuttgart Hbf nach Bayreuth Hbf Mitte August. Ich besitze ein VVS-Scoolabo, darf also dank einer schönen Corona-Aktion der NVBW in den Sommerferien alle Nahverkehrszüge und Busse in Baden-Württemberg kostenlos nutzen. Zusätzlich besitze ich eine Jugend-BahnCard 25, die mir 25 % Ersparnis auf alle Fahrkarten des DB- und des BW-Tarifs gewährt.

Im Videoreisezentrum fragte ich den Mitarbeiter, der aufgrund eines extrem leise eingestelltem Mikrofons kaum zu verstehen war, nach einer Fahrkarte und erläuterte meine oben beschriebenen Vergünstigungen. Als Antwort bekam ich, dass ich mit einem „Weiterfahrtsticket“ ab Crailsheim fahren sollte, das 32,90 € kosten sollte und das ich am nebenstehenden Automaten einfach lösen könnte.

Dies war NICHT der Fall. Für die gewählte Strecke gibt es keine Weiterfahrtsangebote, weder vom BW-, noch vom DB-Tarif.

Der Preis war viel zu hoch! Eine Fahrt zum gewählten Zeitpunkt von Stuttgart Hbf nach Bayreuth hätte selbst ohne jegliche Sommerabo-Ermäßigung 26,50 € gekostet. Ab dem Grenzbahnhof zu Bayern, Crailsheim, hätte ich 14,60 € gezahlt, jedoch mit 55-minütiger Umsteigezeit aufgrund schlechter Anschlussbeziehungen vom Regionalexpress zum Intercity. Die beste Verbindung wäre mit Umstieg in Aalen zu einem Preis von 17-19 € zu haben gewesen, nur etwas mehr als die Hälfte (!) des vorgeschlagenen Preises!

So eine Beratung ist miserabel und mangelhaft! Es ist geradezu eine Frechheit, dass ich ein Ticket hätte kaufen sollen, das sogar noch mehr gekostet hätte, als ein Ticket von Stuttgart nach Bayreuth ohne Vergünstigung mit VVS-Abo und dessen Preis ich nicht mehr im Internet rekonstruieren konnte (die 32,90 € wurden mir für keine Relation angezeigt). Dass ich mit dem vorgeschlagenen Ticket wohl auch nicht den bequemeren IC hätte nehmen können, ist dann das geringste Übel.


So sind Videoreisezentren keine Alternative zur konventionellen Beratung! Gerne hätten wir uns eines Besseren belehren lassen, doch die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten. Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten mit dem kaum vernehmbaren Audio ist es in einer Probe- und Testphase extrem unvorteilhaft, einen Mitarbeiter einzusetzen, der entweder schlicht keine Ahnung vom Ticketsystem hat oder, was wir nicht hoffen, dazu angehalten ist, nicht den billigsten Preis zu verkaufen.

Da man im Gegensatz zum normalen Reisezentrum überhaupt keine Kontrolle darüber hat, wo der Mitarbeiter gerade nach einem Preis sucht und was der Mitarbeiter dem Kunden dann anbietet, wäre mir diese Form der Beratung viel zu einseitig und undurchsichtig. Dies wird sicherlich auch andere Kunden davon abhalten, diese Form der Beratung zu nutzen.

Solche Zustände, wie oben beschrieben, sollte es nicht geben, wenn man davon spricht, bis 2030 die Anzahl der Bahnreisenden verdoppeln zu wollen!

3 Gedanken zu „Tarifwirrwarr bei der DB – oder: eine miserable Beratung im Videoreisezentrum

  1. Earl Y. Bird

    Letzten Donnerstag fand in Stuttgart der Auftakt der ÖPNV-Zukunftskommission statt. Diese mit 20 Experten besetzte Kommission soll bis Mitte 2021 eine Strategie ausarbeiten, wie der ÖPNV attraktiver gemacht werden kann, um bis 2030 die Zahl der Fahrgäste gegenüber 2010 zu verdoppeln:
    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.zukunftskommission-nahverkehr-suche-nach-autoersatz.374992a4-3207-4ae8-9c3c-19da468350a7.html

    Allen ist klar, dass dies eine Herkulesaufgabe ist und die Experten haben wohl auch schon Ideen, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um dieses sehr ambitionierte Ziel zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Kommission auch die Themen Tarife und Ticketkauf kritisch unter die Lupe nimmt und Verbesserungsvorschläge macht. Mit dem bwtarif ist in dieser Hinsicht ja bereits ein Schritt in die richtige Richtung begonnen worden, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis der Kauf eines passenden Tickets zum Kinderspiel wird.

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  2. Markus

    Und was für einen Erkenntnisgewinn soll die Allgemeinheit nun von dieser hochskandalisierten Einzelfallschilderung haben?
    Genauso könnte ich jetzt schreiben, wie oft ich schon im Reisezentrum, von Angesicht zu Angesicht, falsch beraten wurde. Aber früher war ja alles besser…

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    1. Hosea Winter Beitragsautor

      Guten Morgen,

      Dieser Beitrag sollte ein Erfahrungsbericht mit den neuen Reisezentrum sein. Natürlich könnte man sagen, das dieser Einzelfall (ist es denn einer?) für manchen Leser uninteressant ist, jedoch ist es uns wichtig, solche Missstände (den doppelten Preis für weniger Leistung zu verlangen, ist meiner Meinung nach sehr wohl zu kritisieren) aufzudecken. Dass man auch von Angesicht zu Angesicht im normalen Reisezentrum falsch beraten werden kann, ist sicher richtig, aber im Gegensatz zur heutigen Beratung hatte ich im letzten Sommer, wie im alten Beitrag angedeutet, in Korntal eine excellente Beratung. Dies sollte nicht unerwähnt bleiben, wenn man ein Videoreisezentrum ausschließlich als große Verbesserung darstellt.
      Ich habe auch am Ende des Beitrags ausgeführt, dass eine Kontrolle der angegebenen Informationen im normalen Reisezentrum viel einfacher möglich ist – da reicht ein Blick auf den Bildschirm des Mitarbeiters oder der Ausdruck eines Reiseplans. Nennt mir ein Mitarbeiter im Videoreisezentrum einen Betrag, kann ich nur vertrauen, dass es schon der billigste sein würde.
      „Hochskandalisiert“ ist meiner Meinung nach übrigens nichts. Gerade für Schüler, Studenten oder andere Personen mit wenig Geld ist so etwas mehr als ärgerlich!

      Aber früher war ja alles besser

      Wer hatte das je behauptet?

      Freundliche Grüße,
      Hosea vom S-Bahn-Chaos Team

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