Nachdem wir schon vor einiger Zeit eine Übersicht über Auswirkungen des 3. Entwurfes des Deutschlandtaktes bei der S-Bahn Stuttgart gezeigt und kürzlich die genauen Änderungen auf den heutigen Linien S1 – S3 beschrieben haben, folgt nun die Analyse des sogenannten „Nordnetzes“, das die heutigen Linien S4-S6 und S60 umfasst.
Im Zielfahrplan ist Stuttgart 21 ebenso in Betrieb wie die neue S-Bahn-Station Mittnachtstraße und die Verlängerung der S-Bahn auf der dann elektrifizierten Bahnstrecke von Weil der Stadt nach Calw (Hermann-Hesse-Bahn).
Als Grundtakt wird der 30-Minuten-Takt bezeichnet, der in der Regel täglich zwischen 5:00 und 0:00 Uhr gilt.
Als Verstärkertakt/Zwischentakt werden jeweils die Züge bezeichnet, die den 30-Minuten-Takt zu einem Viertelstundentakt verdichten. Diese sollen zukünftig Montag-Freitag zwischen 6:00 und 20:00 Uhr verkehren, allerdings nicht auf einigen Außenästen.
Die wichtigsten Änderungen im Nordnetz separiert nach Linien sind:
- Die S4 verschiebt sich zwischen Schwabstraße und Zuffenhausen in die Fahrlage der bisherigen S6 – damit bleibt der Anschluss von/zur S2, die ja mit der bisherigen S3 die Fahrlagen tauscht, erhalten. Bis Ludwigsburg gibt es aufgrund der zusätzlichen Station Mittnachtstraße eine Fahrzeitverlängerung von einer Minute, bis Backnang aufgrund eines langen Aufenthalts in Marbach um 5 Minuten. In der Gegenrichtung gilt dasselbe.
Der Zwischentakt der S4 wird außerdem über Vaihingen hinaus nach Böblingen verlängert und fährt somit immer 2-4 Minuten vor bzw. nach dem S3 Haupttakt von der Schwabstraße nach Böblingen und zurück. Die Auswirkungen auf die Linie S3 und den Taktknoten Böblingen haben wir schon im vorherigen Beitrag vorgestellt.
- Die S5 wird im Grundtakt und Verstärkertakt um 15-16 Minuten nach hinten verschoben. Damit besteht von der S5 zukünftig Anschluss von und zur S3 nach Herrenberg. Die Fahrzeit verlängert sich stadteinwärts um 4 Minuten. Stadtauswärts beträgt die Fahrzeitverlängerung 2 Minuten, was vor allem dem zusätzlichen Halt Mittnachtstraße geschuldet ist.
- Bei den heutigen Linien S6 und S60 verändert sich vieles. Einerseits soll die sogenannte Hermann-Hesse-Bahn zukünftig mit einer S-Bahn-Linie befahren werden, andererseits soll es auf den Wunsch des VRS eine „Express-S-Bahn S61“ zwischen Feuerbach und Weil der Stadt geben.
- Die Linie S60 soll über die Schwabstraße hinaus bis Vaihingen verlängert werden. Sie bildet dann zukünftig den Grundtakt auf dem Streckenast von Stuttgart über Leonberg nach Renningen bilden. Die Fahrzeiten auf dem Abschnitt Schwabstraße – Renningen verschieben sich um 4 Minuten nach vorne bzw. in Gegenrichtung nach hinten. Damit besteht Anschluss von/zur S1 von/nach Flughafen/Messe und Neuhausen. Auch weiterhin soll die S60 in Renningen geteilt werden. Der vordere Zugteil der S60 soll über Weil der Stadt nach Calw fahren, der hintere nach einem 8-minütigen Aufenthalt in Renningen wie bisher nach Böblingen. Die Fahrzeit nach Böblingen verlängert sich um 4 Minuten, die nach Weil der Stadt um 1 Minute.
- Die S6 soll zukünftig den Verstärkertakt zur S60 bilden. Sie fährt jeweils 15 Minuten versetzt zur S60 ohne Zugteilung von der Schwabstraße nach Weil der Stadt und benötigt dafür, wie auch der vordere Zugteil der S60 eine Minute länger als jetzt.Da die S6 in Renningen keine knappen Anschlüsse aufnimmt bzw. bedient, wirkt ihr dreiminütiger Aufenthalt in Renningen — angesichts der ohnehin langen Fahrzeit von und nach Stuttgart – ziemlich unmotiviert. Er ist aber vermutlich auf Grund der Eingleisigkeit zwischen Malmsheim und Weil der Stadt betrieblich notwendig. Bei einer möglichen Verschiebung des S60-Zugteils nach Böblingen um 15 Minuten (siehe unten), könnte die S6 in dieser Zeit geteilt werden. Dann müsste die S60 nur geteilt werden, wenn sie als Langzug von Stuttgart nach Renningen oder Weil der Stadt fährt, da die Strecke nach Calw nur für Vollzüge ausgerüstet sein wird.
- Eine zusätzliche Linie, die als S61 bezeichnet wird, soll als Verstärkung zwischen Feuerbach und Renningen fahren. Diese hält als „Sprinter S-Bahn“ zwischen Renningen und Zuffenhausen nur in Leonberg und Korntal. In Zuffenhausen besteht Anschluss zu den Linien S4-S6 und S60 Richtung Hauptbahnhof und Schwabstraße. Die Fahrzeit zwischen Renningen und Zuffenhausen ist in Richtung Stuttgart mit 16 Minuten im Vergleich zu den regulären Zügen (22 Minuten Fahrzeit) deutlich geringer. In Richtung Renningen beträgt der Fahrzeitunterschied nur 3 Minuten, da der „Expresszug“ in dieser Richtung aus uns unbekannten Gründen 20 Minuten und der Regelzug 23 Minuten benötigt. Während von der S61 in Renningen Anschluss nach Weil der Stadt und Böblingen besteht und man so mit 2 (!) Umstiegen in Zuffenhausen und Renningen zumindest theoretisch 5 Minuten schneller als mit der durchgehenden S6 oder S60 fährt, ist in Richtung Stuttgart der Anschluss in Renningen (15-20 Minuten Umsteigezeit) so ungünstig, dass sich für Umsteiger eine Benutzung der Express-S-Bahn in keiner Variante auszahlt!
Beim Betrachten dieses neuen Zielfahrplans im Nordnetz ergeben sich einige Fragen und Probleme:
Der Linientausch S3/S1 auf dem Ast nach Herrenberg bewirkt unter anderem, dass der Taktknoten in Böblingen nicht mehr existiert. Das heißt, dass der heute gute Anschluss von der S60 zur zukünftigen S3 (heute S1) und umgekehrt nicht mehr funktioniert. So fährt der S3-Zwischentakt genau dann ab, wenn die S60 ankommt.
Und auch in Renningen kommen die Anschlüsse „unter die Räder“: Der heute in beiden Richtungen fast ideale Übereck-Anschluss Böblingen – Weil der Stadt wird zerstört und die Übergangszeit beim Umsteigen sowohl während des 30-Minutentakts, als auch während des 15-Minutentakts von 2 auf 14 Minuten erhöht.
Diese zwei Umstiegsprobleme in Böblingen und Renningen könnte man aber recht einfach entschärfen, indem man die S60 in Richtung Renningen um 3 Minuten nach hinten und in Richtung Böblingen um 3 Minuten nach vorne verschiebt. Dann wäre einerseits die mit 8 Minuten sehr lange Wartezeit der S60, sowie die Umstiegszeit von/nach Calw in Renningen etwas verkürzt und andererseits würde man in Böblingen den Anschluss von und zu den S3-Zwischentaktzügen erreichen. Zwar wäre der Puffer vor dem eingleisigen Bahnhof Maichingen geringer, dies wäre aber wohl verschmerzbar, denn die Wendezeit in Böblingen wäre mit 14 Minuten länger als heute.
Die in der Hauptverkehrszeit nach Böblingen verlängerten S4-Zwischentakte verkehren kurz vor oder nach den S3-Grundtaktzügen von/nach Herrenberg. So würde von Böblingen in Richtung Stuttgart die S3 durch die 4 Minuten vor ihr fahrende S4 tatsächlich wirksam entlastet. In der Gegenrichtung ab Böblingen fährt die S4 aber 3 Minuten hinterher und kann somit keinerlei Entlastung bieten. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob eine solche halbstündliche, nur in einer Richtung wirklich nützliche Linie überhaupt nötig wäre.
Allgemein ist das Konzept, dass die S60 zukünftig die „Hauptlinie“ sein und die S6 nur in der HVZ fahren soll, verwirrend. Man sollte daher zumindest über eine Umbenennung der beiden Linien nachdenken.
Die S60 wird auf ihrem Weg nach Calw diejenige Linie mit dem längsten Außenast (60 Minuten Fahrzeit ab Hauptbahnhof).
Warum genau diese Linie über Schwabstraße hinaus noch bis Vaihingen verlängert werden soll, ist uns unklar, trägt sie doch durch die sehr langen Außenäste im Vergleich mit den übrigen an der Schwabstraße endenden Linien das höchste Verspätungsrisiko. Wenig glücklich ist auch die Ankunft dieser S60 in Vaihingen, denn sie findet planmäßig 150 Sekunden nach der vorausfahrenden S2 statt. Diese endet jedoch auch in Vaihingen. Dadurch hat sie einen üblicherweise etwas längeren Aufenthalt am Bahnsteig bis sich der Zug nach Aufforderung durch Lautsprecherdurchsage definitiv geleert hat. Die Einfahrt der S2 ins Vaihinger Abstellgleis ist ebenfalls zeitintensiv, weil nur langsam (25 km/h) auf den Prellbock zugefahren werden darf. Dies wird nach aller Voraussicht die Ankunft der nachfolgenden S60 in Vaihingen verspäten. Das tut dieser zwar, weil Endstation, nicht sehr weh, gibt aber der ihr planmäßig nach 150 Sekunden folgenden S1 eine Verspätung auf den schwierigen, teilweise eingleisigen Fahrweg nach Neuhausen mit.
Aufgrund dieser Probleme wäre es wahrscheinlich sinnvoller, den S5-Grundtakt bis Vaihingen zu verlängern, da auf diesen die S3 folgt, die in Vaihingen zumindest im Falle einer Verspätung auch auf Gleis 1 halten könnte. Außerdem hätte diese Linie in Vaihingen eine effizientere Wendezeit von 17 Minuten. Die S60 hätte hingegen mit 27 Minuten eine recht lange Wendezeit, in der sie „ungenutzt“ im Bahnhofsbereich Vaihingen stehen würde.
Die Fahrplansimulation des Deutschlandtakts hat es anscheinend hinbekommen, dass die für die Hermann-Hesse-Bahn gebaute Begegnungsstation Ostelsheim auch für S60 passen könnte. Unverständlich ist aber, dass für die S60 in Calw zwischen Ankunftszeit und Start zur Rückfahrt nur eine Differenz von 3 Minuten liegt. Da die Mindestwendezeit im DB-Regelwerk üblicherweise mit 5 Minuten veranschlagt wird, ist dieser Fahrplan schlicht nicht fahrbar! Jede verspätete Abfahrt der S60 in Calw würde in Ostelsheim den Gegenzug in gleicher Höhe verspäten und so zwangsläufig ein Aufschaukeln der Verspätung auslösen mit der Folge, dass zeitnah eine S60 vorzeitig wenden müsste und Calw gar nicht erreicht.
Mit der „Flügelung“ der S60 in Renningen, also mit der Trennung und Aufteilung des Zuges auf zwei getrennte Reststrecken bleiben zwei Probleme erhalten:
- Durch die Flügelung und auf der Rückfahrt der Vereinigung der Zugteile gehen für die langen Außenäste nach Böblingen bzw. Calw wertvolle Minuten für die Fahrzeit verloren.
- Die Länge eines S-Bahnzuges ist auf drei Zugeinheiten beschränkt (Langzug). Wenn ein Langzug in Renningen geteilt wird, muss entschieden werden, ob die Strecke nach Böblingen oder die Strecke nach Calw mit einem Vollzug (2 Einheiten) bedient wird. Es ist davon auszugehen, dass keine der beiden Strecken auf lange Sicht mit einem halbstündlich fahrenden Kurzzug (1 Einheit) auskommen wird. Ein Zielfahrplan für das Jahr 2030 sollte sich also dringend mit einer frühzeitigen Lösung dieses Problems auseinandersetzen. So wäre es z. B. geboten, über eine Auftrennung der beiden Strecken in Richtung Böblingen und in Richtung Calw auf zwei voneinander unabhängige Linien nachzudenken.
Theoretisch könnte man den Zugteil nach Böblingen wohl auch an die S6 anhängen, die nur bis Weil der Stadt fährt und daher wohl weniger Fahrgäste zu transportieren hat, als die S60. Dadurch würde auch der Anschluss in Böblingen, die oben erklärte Verschiebung des Taktes um 3 Minuten vorausgesetzt, zu den Grundtaktzügen der S3 und damit auch in der Nebenverkehrszeit funktionieren.
Dann müsste aber, zumindest in der Zeit, in der die S60 Richtung Weil der Stadt als Langzug verkehrt, auch bei diesem Zug eine Zugteilung in Renningen oder Weil der Stadt stattfinden, da die Strecke nach Calw wohl nur für Vollzüge ausgebaut werden wird. Jedoch dürfte ein solches Verjüngen bzw. Verstärken weniger verspätungsanfällig sein, da der zweite Zugteil nur aus dem Abstellgleis kommt, und nicht Verspätung aus einer anderen Strecke mitbringen könnte.
Die neue Expresslinie S61 ist kritisch zu betrachten. In Richtung Renningen ist diese Linie nur geringfügig schneller als die reguläre S6. Anschlüsse in Renningen oder Korntal von und zu abzweigenden Bahnen gibt es entweder gar nicht, oder sie funktionieren, wie in Renningen, nur in eine Richtung. Somit hält sich aufgrund des zusätzlichen Umstiegs in Zuffenhausen oder Feuerbach die Fahrzeitverkürzung in engen Grenzen. In einigen Fällen dürfte man sogar länger unterwegs sein als heute. Eine viertelstündliche Verstärkerlinie Feuerbach – Renningen, die an jeder Station hält und die stark ausgelastete S6 zu einem 7,5-Minuten-Takt verdichtet, dürfte einen größeren Effekt haben als die derzeit geplante S61, wobei zu untersuchen wäre, ob eine solche Linie mit dem Güterverkehr zwischen Korntal und Renningen harmonieren würde.
Völlig unklar ist auch, auf welchem Gleis in Renningen die S61 ihre Wendezeit von 5 Minuten (Mindestwendezeit) verbringen könnte. Denn in Renningen sind beide S-Bahngleise mehrfach durch wartende S-Bahnzüge belegt. Würde man das Gleis 1 nutzen, würde nicht nur das Durchfahrgleis für die Güterzüge verloren gehen, sondern die S61 müsste aus Richtung Stuttgart auch das Gegengleis, das Richtung Stuttgart führt, kreuzen, was angesichts der extrem kurzen Wendezeit in Renningen nicht wirklich praktikabel erscheint.
Außerdem ist die Strecke zwischen Weil der Stadt und Malmsheim eingleisig. Das vorgesehene Betriebskonzept ist, zurückhaltend gesagt, anspruchsvoll. So soll die S6 in Weil der Stadt zu den Minuten 05 und 35 Richtung Stuttgart abfahren, die in Gegenrichtung bis Calw fahrende S60 aber schon zu den Minuten 09 und 39 aus Renningen ankommen. Auch aufgrund dieser Eingleisigkeit könnte die S61 in der vom Deutschlandtakt vorgesehenen Fahrlage nicht wie vom Verband-Region-Stuttgart gewünscht, bis Weil der Stadt verlängert werden.