Pfaffensteigtunnel — wirklich ein Grund zur Freude für die S-Bahn?

Ein Rückblick in die Historie zeigt, dass die S21-Planung auf den Fildern zunächst eine ziemlich mickrige Lösung vorsah: die S-Bahn sollte sich im Flughafen-Terminalbahnhof für beide Richtungen mit einem Gleis begnügen und das heutige zweite Gleis an die Gäubahnzüge abgeben. Auch eine im Jahr 2015 gefundene Kompromisslösung „Drittes Gleis“ bekam in mehreren Gutachten bescheinigt, dass der Mischverkehr von S-Bahn-, Regional- und Fernzügen zwischen Rohr und Flughafen zu Problemen führen würde.

Vor etwa zwei Jahren wurde für die zukünftige Führung der Gäubahn zwischen Böblingen und Flughafen ein ca. 12 Kilometer langer Tunnel ins Gespräch gebracht – heute unter dem Begriff Pfaffensteigtunnel geführt, benannt nach dem Gewann, nahe dem der Tunnel bei Böblingen-Mönchsbrunnen von der Gäubahnstrecke abzweigen würde. Darauf gab es in den Gemeinden an der S-Bahnstrecke Rohr – Flughafen ein geradezu hörbares Aufatmen. Denn so müsste die S-Bahn auf den Fildern sich nicht die Gleise mit den Regional- und Fernzügen der Gäubahn teilen, und die Anwohner hätten keinen zusätzlichen Schienenlärm durchfahrender Züge zu ertragen.

Plan Pfaffensteigtunnel

aktuelle Planung des Pfaffensteigtunnels (c) DB Engineering & Consulting

Allerdings sind Zweifel anzumelden, ob der Pfaffensteigtunnel tatsächlich die „rettende Idee“ ist und die S-Bahn von den Restriktionen und Engpässen der bisherigen Planung verschont.

Ohne Frage hätte der Tunnel positive Aspekte für die S-Bahn auf der Filderstrecke:

  • Die Strecke Rohr – Flughafen bleibt wie heute der S-Bahn vorbehalten. Es gibt keinen Mischverkehr mit Regional-/Fernzügen.
  • Ein weiterer Ausbau des S-Bahnangebots auf den Fildern ist möglich.
  • Die Anrainer freuen sich, weil keine zusätzliche Lärmbelastung durchfahrender Züge entsteht.

Ferner könnte der Pfaffensteigtunnel – isoliert gesehen — für die dort laut Zielfahrplan Deutschlandtakt 2030 (ZF DT 2030) pro Stunde und Richtung geplanten drei Regional- und Fernzüge der Gäubahn eine hohe Betriebsqualität bieten.

Wie aber sieht es vor bzw. nach dem Tunnel aus?

Auf östlicher Seite münden die Gleise des Tunnels in den Flughafen-Fernbahnhof. Von dort aus geht es nach Einfädelung in die Neubaustrecke zusammen mit den Zügen aus Ulm und Tübingen – Nürtingen durch den stark belasteten Filderaufstiegstunnel in den S21-Tiefbahnhof. Da dies für die S-Bahn ohne weitere Bedeutung ist, braucht diese Seite hier nicht betrachtet zu werden.

Auf westlicher Seite bei Mönchsbrunnen fädeln sich die aus dem Pfaffensteigtunnel kommenden Gleise in die bestehende Gäubahnstrecke ein. Auf dem dann folgenden zweigleisigen Streckenabschnitt über Sindelfingen-Goldberg nach Böblingen Bhf fahren heute pro Stunde und Richtung 2 – 3 Regional- und Fernzüge und 4 S-Bahnzüge der S1. Dies birgt schon heute einen beachtlichen Abstimmaufwand für die Fahrpläne, zumal die Abstimmung auch die Strecke Böblingen – Herrenberg einbeziehen muss.

aktuelle Planung zur Einfädelung des Pfaffensteigtunnels in die Bestandsstrecke am Mönchsbrunnen (c) DB und Stadt Leinfelden

Der ZF DT 2030 sieht zukünftig auf dem Streckenabschnitt Mönchsbrunnen – Böblingen pro Stunde und Richtung erheblich mehr Züge vor:

  • 1 Fernzug über Flughafen nach Stuttgart Hbf
  • 2 Regionalzüge über Flughafen nach Stuttgart Hbf
  • 1 Regionalzug nach S-Vaihingen
  • 4 S-Bahnzüge Herrenberg – S-Vaihingen – Stuttgart und weiter
  • 2 S-Bahnzüge Böblingen – S-Vaihingen – Stuttgart und weiter

Mit 10 Zügen pro Stunde und Richtung, wäre für die zweigleisige Strecke eine kritische Belastung erreicht, zumal die 6 S-Bahnzüge an der Station Goldberg halten werden. Und auch hier gilt, dass die Fahrpläne der Regional- und Fernzüge und die Fahrpläne der S-Bahnzüge nicht nur bis Böblingen, sondern darüber hinaus bis Herrenberg abgestimmt sein müssen.

Vorhersehbarer Engpass Mönchsbrunnen – Böblingen Bhf

Vorhersehbarer Engpass Mönchsbrunnen – Böblingen Bhf

Ein Zwischenfazit an dieser Stelle kann eigentlich nur lauten:
Ohne viergleisigen Ausbau zwischen Mönchsbrunnen und Böblingen wäre trotz Pfaffensteigtunnel sowohl für die S-Bahn, als auch für die Regional- und Fernzüge voraussichtlich keine akzeptable Betriebsqualität zu erreichen.

Notwendige Ergänzung: vier Gleise Mönchsbrunnen – Böblingen Bhf

Notwendige Ergänzung: vier Gleise Mönchsbrunnen – Böblingen Bhf

Alle Verspätungen, die hier entstehen, würden einerseits die S-Bahn im ganzen Netz massiv belasten, andererseits würden verspätete Regional- oder Fernzüge Unordnung in die Zufahrt vom Flughafen zum Hauptbahnhof bringen. Somit ist äußerst fraglich, ob die S-Bahn vom Pfaffensteigtunnel mehr hätte, als dass der „Flaschenhals“ zwischen Flughafen und Böblingen auf die Gäubahnstrecke zwischen Mönchsbrunnen und Böblingen in seiner Länge zwar reduziert, aber eben nicht beseitigt würde.

Zu alledem kommt hinzu, dass der Pfaffensteigtunnel sich als wirtschaftlich fragwürdige Konstruktion darstellt: 3 Regional-/Fernzüge pro Stunde und Richtung können angesichts der hohen Bau- und Unterhaltskosten eines Tunnels keinerlei wirtschaftliche Rechtfertigung begründen. In den bisherigen Wirtschaftlichkeitsrechnungen wurde der Tunnel in einer Gesamtbetrachtung der Strecke Stuttgart – Singen regelrecht „versteckt“. Dies hat mit ökonomischer und verkehrspolitischer Seriosität nichts mehr zu tun.

Aufgrund der aktuellen Entwicklung hat sich die Sicht auf eine vernünftige Alternative zum Pfaffensteigtunnel allerdings deutlich verändert bzw. verschlechtert. Als Alternative stand immer im Raum, dass man die Gäubahnzüge doch wie bisher dauerhaft über die Panoramastrecke führen könne. Diese Führung würde allerdings voraussetzen, auf dem Gelände des heutigen Kopfbahnhofs einen Ergänzungs-Kopfbahnhof mit mehreren Gleisen beizubehalten bzw. anzulegen, in den die Gäubahnzüge einfahren könnten. Diesen Ergänzungs-Kopfbahnhof zu erhalten bzw. anzulegen, hatte auch das Verkehrsministerium Baden-Württemberg – nicht nur wegen der Gäubahn — mehrere Jahre nachdrücklich empfohlen. Vor einigen Tagen hat das Ministerium von dieser Empfehlung Abstand genommen.

Aufgrund der Ergebnisse einer vor kurzem abgeschlossenen gutachtlichen Verkehrsuntersuchung sieht es nun die übergreifend bessere Lösung in einer Tangentialverbindung zwischen Feuerbach und Bad Cannstatt zusammen mit einer Durchbindung der Panoramastrecke nach Bad Cannstatt und einer im Regelbetrieb befahrbaren Verbindung der Panoramastrecke nach Feuerbach. Welche Vor- und Nachteile diese neue Ausbauvariante für die Stuttgarter S-Bahn haben könnte, wird zu gegebener Zeit in einem separaten Beitrag beleuchtet. Allerdings lässt schon allein der Titel „Infrastrukturdimensionierung im Bahnknoten Stuttgart 2040“ erkennen, den die Gutachter von VWI und SMA für ihren vor kurzem bekannt gewordenen Abschlussbericht gewählt haben, dass es mit der Realisierung diesbezüglicher Lösungen weit mehr als ein Jahrzehnt länger als mit dem Ergänzungs-Kopfbahnhof dauern würde.

Unter diesen neuen Aspekten wird das oben genannte Zwischenfazit zur klaren Schlussfolgerung:

Auch mit dem Pfaffensteigtunnel ist sowohl für die S-Bahn, als auch für die Regional- und Fernzüge eine akzeptable Betriebsqualität nur zusammen mit einem viergleisigen Ausbau zwischen Mönchsbrunnen und Böblingen zu erreichen.

4 Gedanken zu „Pfaffensteigtunnel — wirklich ein Grund zur Freude für die S-Bahn?

  1. Leon

    Danke für den Artikel!
    Ich verstehe, dass der Pfaffensteigtunnel das Nadelöhr zwischen Mönchsbrunnen und Böblingen nicht beseitigt, jedoch kann ich die Hervorhebung der Alternative Panoramastrecke+Nordhalt nicht verstehen. Auch bei einem Erhalt dieser würde sich durch die geplanten 10 Züge/Stunde ein Nadelöhr zwischen Böblingen und dann sogar bis Vaihingen bilden, richtig?
    Insofern ist der Pfaffensteigtunnel als eine Alternative zum Nordhalt zu sehen und nicht als Beseitigung des Nadelöhrs, welches sich auch bei der Lösung Panoramastrecke+Nordhalt ergeben würde.

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    1. Klaus Wößner Beitragsautor

      Lieber Leon,
      Sie haben mit Ihrem Hinweis völlig recht, dass auch mit der Gäubahn über die Panoramastrecke zwischen Rohr und Böblingen ein Nadelöhr besteht, wenn die bis 2030 geplante Erhöhung des S-Bahnverkehrs kommt. Daher ist die Forderung, zwischen Rohr und Böblingen auf vier Gleise auszubauen, in jedem Fall berechtigt.
      Eine Verdeutlichung möchte ich noch nachreichen: Als Alternative zur Führung der Gäubahn durch den Pfaffensteigtunnel ist eine Führung der Gäubahn über die Panoramastrecke nicht etwa bis Nordhalt, sondern bis zu einem Rest- oder Ergänzungs-Kopfbahnhof gemeint, der im rechten Winkel an den S21-Tiefbahnhof angrenzt. Im bisher überwiegenden Sprachgebrauch wird der Nordhalt bisher als Station in der Verbindungskurve Gäubahn – Feuerbach zwischen der Unterfahrung der Heilbronner Straße und dem Pragtunnel bezeichnet, ursprünglich als reine Übergangslösung gedacht. Eine dort liegende Station, sehr wahrscheinlich dauerhafte Endstation der Gäubahn wäre für den Bahn-Großknoten Stuttgart nicht vernünftig und auch nicht angemessen.

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  2. Pascal

    danke für die Arbeit und den hervorragenden Artikel. Bleibt nur zu hoffen, dass die richtigen Leute diesen auch lesen und entsprechende Maßnahmen vollzogen werden.

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    1. Hans Müller

      Wie neulich berichtet wurde, hat die Stadt Stuttgart die Deutsche Bahn vor und um 2010 herum gerade zu bekniet, aus Immobilien- und städtebaulichen Gründen S21 durchzuziehen, mit allen Mitteln. Da auch die Filetgrundstücke der Gäubahn (man schaue sich die Lage nahe Kräherwald etc. an) für die Drahtzieher benötigt werden, werden die verkehrspolitischen Argumente völlig unter den Tisch gekehrt werden. Die Diskussion um gute Verkehrsanbindungen ist ein Scheingefecht, es geht um die Immobilien, die freiwerdenden Grundstücke, die Lage, und NUR darum geht es. Würde das Projekt S21 unter diesen Gesichtspunkten analysiert und aufgerollt und die Hintermänner und Profiteure klar benannt und zur Verantwortung gezogen (von Oettinger an, aber auch Mappus, Schuster, Grube, Pofalla & Co), so wäre ein guter Anfang gemacht. Und dann könnte man endlich einmal über die beste Verkehrslösung diskutieren. Solange kein Klartext gesprochen wird und die Fakten nicht auf den Tisch kommen, bleibt das korrupte System auch noch im Jahr 2040 stecken.

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