Ausdünnung des S-Bahn-Fahrplans ab Dezember 2023
Mit Einschränkungen des S-Bahnverkehrs, mit Einzelausfällen von Zügen und auch mit Ausfällen ganzer Zwischentakte auf einigen Linien der Stuttgarter S-Bahn musste man schon längere Zeit umgehen. Als Gründe wurden genannt: Hoher Krankenstand bei den Triebfahrzeugführern, von denen man schon seit Jahren zu wenige hat und die man jetzt zügig auf die neue Leit- und Sicherungstechnik ETCS vorbereiten muss, daneben ausfallende Fahrzeuge, die man ebenso zügig auf ETCS aufrüsten muss.
Parallel zu all diesem ist die Pünktlichkeit der S-Bahnzüge – nach einer kurzen Erholung während der Pandemiephase – kontinuierlich gefallen, um sich aktuell auf unbefriedigend niedrigem Niveau anscheinend zu stabilisieren. So ist mittlerweile selbst die 6-Minuten-Pünktlichkeit unter den Zielwert der 3-Minuten-Pünktlichkeit (94,5%) gefallen.
Die eigentlich logische Folge ist, dass derartige Ausfälle und Einschränkungen – wenn auch mit Verzögerung — auf den Fahrplan durchschlagen: So soll ab Dezember 2023 der 15-Minutentakt werktags nur noch bis 19:00 Uhr gelten, samstags soll es mit Ausnahme der S6 / S60 überhaupt keinen 15-Minutentakt mehr geben, Teckbahn und Schusterbahn sowie die S62 will man an andere Verkehrsunternehmen übergeben.
Gefühlt ist man mit der Stuttgarter S-Bahn derzeit auf einer Talsohle angekommen, und ehrlicherweise wissen wir nicht, ob sie womöglich noch tiefer wird. Auf dieser Fahrplan-Talsohle müssen wir laut Ankündigung – mindestens ein Jahr ausharren.
Einiges spricht dafür, dass dieses eine Jahr nicht reichen wird. 2024, 2025 und mindestens erstes Halbjahr 2026 werden durch eine Doppelbelastung gekennzeichnet sein.
Zum einen stellt die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 eine gewaltige Herausforderung dar und sie wird nicht ohne Unterbrechungen z. B. durch Umlenkung auf neue Gleise und Störungen durch „Kinderkrankheiten“ neu entwickelter Anlagen von statten gehen. Zum anderen steht mit dem Übergang der Leit- und Sicherungstechnik im Bahnknoten Stuttgart auf das European Train Control System (ETCS) ein Quantensprung bevor, der dadurch besonders pikant wird, dass die S-Bahnzüge zukünftig auf fast allen Linien, meist während der Fahrt, an bestimmten Punkten der Strecke von ETCS ins bisherige System der Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB) oder umgekehrt überwechseln müssen. Aus Großprojekten der Industrie weiß man sehr genau, dass derartige Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Systemen sehr anspruchsvoll und hochsensibel sind sowie über einige Zeit nach der Einführung laufend verbessert und nachjustiert werden müssen.
Beim Fahrpersonal werden sich die Probleme ebenfalls nicht kurzfristig lösen lassen. Die Abordnungen des Personals zur ETCS-Schulung sind alternativlos, je nach Entwicklung ist mit Nachschulungen zu rechnen. Ein erhöhter Krankenstand löst sich in der Regel auch nicht kurzfristig auf. Angesichts der mehrjährigen Ausbildung zum Triebfahrzeugführer wird neu eingestelltes Personal wohl ebenfalls kaum vor 2026 den Personalfehlbestand markant vermindern oder kompensieren. Auch wenn eine gute Ausbildung ein Wert an sich ist, darf man hier sicherlich fragen, ob die Ausbildungszeit nicht durch einen gezielten Ausbildungsgang speziell zu S-Bahnfahrerinnen oder –fahrern deutlich verkürzt werden könnte. Soweit uns bekannt ist, läuft die Ausbildung so genannter Quereinsteiger, die schon eine geeignete anderweitige Berufsausbildung mitbringen, nur über etwas mehr als 12 Monate. Problem dabei ist nur, dass die S-Bahn beim Suchen von Quereinsteigern mit der gesamten Branche der Verkehrsunternehmungen in harter Konkurrenz steht.
Die Verfügbarkeit der Fahrzeuge kann sich ebenfalls kaum verbessern: Zusätzlich zur peniblen Routinewartung der Fahrzeuge kommt die Aufrüstung auf ETCS, die für die komplette S-Bahnflotte rund eineinhalb Jahre beanspruchen wird. Dazu müssen vor und nach dem Übergang auf ETCS über längere Zeit mehrfach neue Softwareversionen auf die Bordrechner der Fahrzeuge überspielt werden. Dass nicht auch noch Hardware-Nachrüstungen dazu kommen, bleibt zu hoffen. Dies hat auch bei den nicht in der Werkstatt stehenden Züge Auswirkungen, da zu erwarten ist, dass die Züge mit verschiedenen Softwareversionen nicht miteinander kuppelbar sein werden. Angesichts der schon heute bestehenden ungewollten Trennung zwischen den neueren Zügen der Baureihe 430.2 und den älteren 430ern dürfte das noch weitere Komplexität in die Fahr- und Umlaufplanung bringen.
Und zu allen diesen Problemen kommen mittlerweile auch noch Forderungen oder Vorschläge hinzu, die durch die misslungene S21-Planung für die Gäubahn drohende Kappung der Gäubahnzüge in Vaihingen oder Böblingen durch die Verlängerung von S-Bahnlinien bestmöglich abzufedern. Angesichts der aktuellen Misere mit der S-Bahn in der Region Stuttgart muss man solchen Vorschlägen, mit S-Bahnzügen ab Mitte 2025 über Herrenberg hinaus bis Horb, Rottweil oder gar Singen zu fahren, wenigstens fürs erste bis ca. 2027 eine deutliche Absage erteilen. Vielmehr ist weiterhin mit allem Nachdruck zu fordern, mit den Gäubahnzügen über 2025 hinaus bis auf weiteres über die Panoramastrecke in den heutigen Hauptbahnhof zu fahren. Dass dies geht, ist keine Frage mehr. Dass dies vielleicht etwas Geld kostet, ist der — wenigstens in diesem Bereich — unklugen Planung und Ausführung von S21 geschuldet.
Erste Reaktionen aus dem Verband Region Stuttgart, der für die S-Bahn zuständig ist, klingen zwar gefasst, aber auch etwas einseitig. So mag man zwar den Lokführermangel nicht ganz zu Unrecht als Offenbarungseid der DB Regio klassifizieren, wie es einige Fraktionen des Regionalparlaments tun und in einem ausführlichen Artikel der Stuttgarter Zeitung am 22.09. zu lesen war. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass vom Regionalverband die Ausweitung des 15-Minutentakts vor einigen Jahren forsch vorangetrieben und eingeführt wurde, obwohl bekannt war, dass man damit hart an die Grenzen der Personal- und Fahrzeugkapazität geht.
Auch war man mehrheitlich immer darauf bedacht, das Mega-Projekt Stuttgart 21 und parallel dazu die Digitalisierung des Bahnknotens Stuttgart zum Maß aller Dinge zu erheben und nur ja keine Anlässe zu liefern, die die, freundlich gesagt, optimistischen Termine der beiden unversehens zu einem „Giga-Projekt“ zusammengewachsenen Mega-Projekte gefährden könnten. Beide haben der S-Bahn viele Änderungen, Einschränkungen, Störungen und Ausfälle beschert und werden dies angesichts der riesigen Aufgabe und des herrschenden Termindrucks weiterhin tun. Neben den meisten Verkehrspolitikern des Landes und des Bundes müssen sich auch die Regionalräte mehrheitlich fragen, ob sie nicht an den für die S-Bahnnutzer und das S-Bahnpersonal erkennbar drohenden Zumutungen durch Überbetonung von Stuttgart 21 und der Digitalisierung eine Mitverantwortung übernehmen müssen, anstatt sich jetzt nur über (vorhersehbare!?) Probleme zu ärgern.
Erfreulicherweise ist auch eine kluge Reaktion aus dem Regionalparlament auf die angekündigten Einschränkungen zu verzeichnen. So wird nahezu unisono gesagt, man habe lieber eine planmäßige Reduzierung des Verkehrstakts als häufige ungeplante Ausfälle. Und auch die (längst fällige) Reflektion ist zu hören, dass es, so Regionalrat Maier, vielleicht besser sei, „sich der Bestandspflege und dem Status quo zu widmen, als immer weitere Ideen für den Ausbau zu entwickeln“. Beidem ist zuzustimmen, wenn auch dem ersten mit einem gewissen Zähneknirschen.
Ein wichtiger Punkt ist noch zu ergänzen: Die Pünktlichkeit muss dringend verbessert werden.
Es ist bestimmt nicht so, dass ein ausgedünnter Verkehr quasi automatisch zu mehr Pünktlichkeit verhilft, weil die gegenseitige Behinderung eng aufeinander folgender Züge abnimmt. Die Erfahrungen zeigen, dass nur halb so oft fahrende Züge voller sind, die Ein-/Aussteigezeiten zunehmen, häufig auch die Schließung der Türen durch sich zu lange im Türraum aufhaltende Fahrgäste verzögert wird.
Das Problem der Pünktlichkeit verlangt also zusätzlich, sich kritisch mit den Fahrzeiten auseinanderzusetzen, ob sie denn ausreichend bemessen und Pufferzeiten vorgesehen sind. Natürlich will man nicht für jede Tageszeit unterschiedliche Fahrpläne mit variierenden Abfahrts- und Ankunftszeiten einführen, also z. B. im morgendlichen Hauptverkehr mehr Zeit einplanen und in verkehrsärmeren Zeiten mit kürzeren Fahrzeiten auskommen. Wenn die im Hauptverkehr bzw. bei hoher Frequenz für einen pünktlichen Verkehr notwendigen Fahrzeiten einheitlich über den ganzen Tag festgelegt werden, führt dies zu mehr Pünktlichkeit und verursacht allenfalls in verkehrsärmerer Zeit geringfügig längere Aufenthalte in einzelnen Stationen, bis die Planabfahrtzeit gekommen ist.
Während der Entstehung dieses Beitrags war am 26.09. in der Stuttgarter Zeitung zu lesen, dass der Baden-Württembergische Landesverkehrsminister Winfried Hermann einen „Aktionsplan Qualität für den Schienenpersonennahverkehr in Baden-Württemberg“ vorgelegt hat, der genau die Frage der Fahrzeiten unter die Lupe nehmen will: „Robustheit soll Vorrang vor der – oft nur theoretisch – möglichen Fahrzeit haben. Im Klartext: Lieber sollen die Züge auf dem Papier mehr Zeit haben für die Strecke, als dass die Fahrgäste dem Anschluss beim Umsteigen hinterherschauen.“
Der gesamte Aktionsplan Qualitätsoffensive auf der Schiene im Nahverkehr ist auf der Webseite des Landes hinterlegt und kann von dort als PDF heruntergeladen werden. Sehbehinderte können sich den Text auch vorlesen lassen.
Wenn auf diese Weise realistischere Fahrpläne mit eventuellen Pufferzeiten entstehen und überdies vom Regionalverband und DB Regio S-Bahn eine ehrliche Perspektive erarbeitet wird, bis wann frühestens, und vor allem verlässlich gerechnet, mit einer Rücknahme der ab dem kommenden Dezember geltenden Fahrplaneinschränkungen gerechnet werden kann, eröffnet sich eine große Chance. Die S-Bahn kann endlich wieder mehr Verlässlichkeit bieten, die in letzter Zeit doch ziemlich abhandengekommen war. Die leidgeprüften Fahrgäste und das hoch belastete Fahr- und Betriebspersonal hätten das sehr verdient.
Naja, wenn dann die Anbindung an andere Teile der VVS gegeben ist, dann will ich die Hoffnung nicht verlieren. Aber muss es denn Alltag sein, dass unsereins mind. ne Bahn früher plant um sicherzustellen, pünktlich auf Arbeit zu sein?
Muss ich für ne Strecke, die ich in 20 – 40 Minuten mit Auto hinbekomme plötzlich 2 Stunden einplanen? Wo bleibt meine Lebensqualität?
Wäre es nicht viel besser und ehrlicher, statt des 15-Minuten-Takts einen 20-Minuten-Takt einzuführen? Wie die Erfahrungen zeigen, lässt sich der 15-Minuten-Takt in der Hauptverkehrszeit so eh nicht umsetzen, was nur zu genervt Fahrgästen und zu gestresstem Personal führt. Evtl. hängt der hohe Krankenstand auch damit zusammen. Meine These: Lieber 3 S-Bahnen pro Stunde statt 4 (die es eh nicht schaffen). Das würde zu einem verlässlichen Fahrplan führen und letztlich zu mehr Akzeptanz für den ÖPNV.
20 Minuten Takt heißt dann aber etwa auch 40 Minuten Takt für die Region. Da tuckert selbst die RB47 öfter übers Feld als dann z.B. die S60, wenn mal wieder Taktausdünnung ansteht
Das würde aber erhebliche Umstellungen im gesamten Fahrplangefüge, auch im Regionalverkehr zur Folge haben (30-Minuten-Takt Regio vs. 20-Minuten bei der S-Bahn, im Mischverkehr an Rems/Murr/im Gäu nicht möglich).
Es hat natürlich keinen Zweck, aber ich will doch noch mal meinen Kropf leeren. Ich war fast 30 Jahre Pendler zwischen Stuttgart und Böblingen (Linie S1), und die letzten 10 Jahre habe ich mich gefühlt fast jeden Tag über die S-Bahn geärgert. Jetzt ist Schluß. Ich habe meinen Job gekündigt, und ich habe den Verbundpaß gekündigt; und ja – die schlechten Verkehrsverhältnisse waren einer von mehreren Gründen, den Job hinzuschmeißen.
Heute ist mein letzter Arbeitstag. Die S-Bahn hat mir den Abschied leicht gemacht, indem sie am vorletzten Arbeitstag ‚wegen Verspätung aus vorheriger Fahrt‘ 20 min verspätet war, und ich also rund 30 min am Böblinger Bahnhof im Sudelwetter herumstand. Ich werde mir kein Deutschland-Ticket kaufen, unter anderem weil mir die Bemühungen der Deutschen Bahn (das Wort ‚Leistung‘ scheint mir nicht angemessen) keine 49 Euro wert sind. (Über das 9-Euro-Ticket, das es mal gab, ließe ich mit mir reden.) Meine Einkäufe kann ich zu Fuß erledigen, und wenn ich sonst mal ‚Mobilität‘ brauche, kaufe ich mir einen Fahrschein für die Stuttgarter Straßenbahn. Die S-Bahn hat mich als Kunden verloren.