Wie schon in unserem Beitrag Umleitung der S-Bahn bei Ausfall der Stammstrecke – Umfahrung für S-Bahn wird gekappt vom 13.11.2016 angemerkt wurde, sieht die heutige S21-Planung für Gäubahn-Regionalzüge übergangsweise Stuttgart-Vaihingen als Endstation vor, weil die Gäubahnstrecke zwischen Stuttgart Hbf (oben) und dem Gäubahnviadukt nahe Stuttgart-Nord ca. ein halbes Jahr vor Fertigstellung von Stuttgart 21 wegen des erforderlichen Anschlusses des stadtauswärts führenden S-Bahn-Gleises von der neuen S-Bahn-Station Mittnachtstraße zur Station Nordbahnhof unterbrochen werden soll.
„Übergangsweise“ könnte in diesem Fall 2 ½ Jahre oder mehr bedeuten. Warum?
Die zukünftige Führung der Gäubahnzüge über den Flughafen, wie sie Stuttgart 21 vorsieht, ist erst dann möglich, wenn auch der Planfeststellungsabschnitt 1.3b (Flughafen bis Rohrer Kurve) komplett betriebsfähig ist. Wann dies sein wird, ist höchst unklar. Nach vorläufigen Angaben der Bahn wird dies ca. zwei Jahre nach Inbetriebnahme der übrigen Teile von Stuttgart 21, also frühestens 2023 der Fall sein. So ergeben sich in der Addition 2 ½ Jahre, oder in der Realität eben auch mehr, weniger allenfalls dann – welche Ironie -, wenn S21 sich insgesamt verzögert.
Zugegeben, das ist noch lange hin, bis der S21-Tiefbahnhof seiner Fertigstellung nahe ist. Aber vielleicht wäre es ganz gut, etwas weiter in die Zukunft zu schauen, und sich nicht erst mit den Problemen zu beschäftigen, wenn sie über einen hereingebrochen sind.
Was haben die Gäubahn-Regionalzüge mit der S-Bahn zu tun?
Fahrgäste der Gäubahn-Regionalzüge haben überwiegend Stuttgart-Hauptbahnhof zum Ziel. Sie müssen dann in Stuttgart-Vaihingen den Regionalzug verlassen und zur Weiterfahrt einen anderen Zug nehmen. Mancher Fahrgast mag in die Stadtbahn umsteigen, weil das individuelle Ziel im Stadtgebiet auch mit ihr erreicht werden kann. Die große Mehrzahl der Fahrgäste wird aber mit dem nächsten S-Bahnzug weiterfahren wollen. Dies wird für die S-Bahn eine markante Mehrbelastung, die sie nur schwer schultern kann.
Betrachten wir, ausgehend vom aktuellen Regionalzugfahrplan, den frühmorgendlichen Stadteinwärtsverkehr:
Drei Regionalzüge Rottweil – Stuttgart könnten (ohne Verspätung) folgende Anschlüsse realisieren:
Diese Verbindungen erscheinen praktikabel: Die dargestellten S2-Züge starten in Stuttgart-Vaihingen und bieten damit ausreichend Platz für die Umsteiger vom Regionalzug. Die 8 Minuten spätere Ankunft am Hbf wäre zu verschmerzen, vor allem wenn das individuelle Ziel des Fahrgastes westlich, südlich oder östlich des Hauptbahnhofs liegt oder gar näher an den S-Bahn-Zwischenhalten.
Problematisch wird es bei späteren Zügen:
Die Ankunftszeit des RE 19028 in Stuttgart-Vaihingen würde erst um ca. 07:49 Uhr liegen können – also im Vergleich zu den anderen Regionalzügen um 5 Minuten später – , wie das nachfolgende konkrete Beispiel zeigen wird. Denn zu seiner von der Fahrlage her möglichen Ankunftszeit um 07:44 Uhr wird vermutlich seine Einfahrtrasse nach Stuttgart-Vaihingen noch durch den vorhergehenden RE 19072 belegt sein. Schließlich machen die endenden Regionalzüge „Kopf“ und müssen den Bahnhof wieder in umgekehrter Richtung ins Gäu verlassen und sich auch hier zwischen die viertelstündlich verkehrenden S-Bahnen fügen wie schon auf dem Ankunftsweg. Dadurch wäre für den RE 19028 ausgerechnet die S1 (S-Vaihingen ab 07:55 Uhr) die nächstmögliche Anschluss-S-Bahn, die von Herrenberg bereits gut gefüllt in Stuttgart-Vaihingen ankommt und wohl kaum genügend Platz für die zahlreichen Fahrgäste des Regionalzugs hätte.
Konkretes Beispiel: Wenn wir voraussetzen, dass die Regionalzüge in Stuttgart-Vaihingen am Ankunftsbahnsteig – unterstellt sei der noch zu bauende Bahnsteig an Gleis 4 – wenden, benötigt die Wende mindestens 6 Minuten. Kommt RE 19072 wie beschrieben um 07:29 Uhr an, könnte er frühestens um 07:35 Uhr wieder auf den Rückweg starten. Dann würde er aber unmittelbar mit der fahrplanmäßigen S1 nach Herrenberg „kollidieren“. Und damit er weder mit ihr „kollidiert“, noch auf sie „auffährt“, dürfte er nicht früher als 07:43 Uhr wieder zur Rückfahrt starten. Für den RE 19028 würde dies eine Wartezeit nahe dem Berghautunnel und dadurch die um ca. 5 Minuten spätere Ankunft in Stuttgart-Vaihingen bedeuten, denn der um 07:43 in S-Vaihingen zur Rückfahrt ins Gäu gestartete Zug kommt ihm auf dem gleichen Gleis entgegen und kann erst im Bereich Berghautunnel auf sein richtiges Gleis überwechseln. Diese gegenseitige Behindierung wäre kaum praktikabel und würde diesen wichtigen Verstärkerzug während des oben genannten Unterbrechungszeitraums in Frage stellen. Sein Ausfall würde die Belastung der S1 weiter verschärfen. Und ihn über Renningen umzuleiten, wäre keine Alternative, denn er müsste dann der S60 hinterher-„schleichen“ und würde erst eine runde halbe Stunde später im Stuttgarter Hauptbahnhof eintreffen.
Auch mit RE 19074 und den Folgezügen würde es nach heutigem Fahrplan Probleme geben:
Wenn am Morgen die 15-Minutentaktzeit der S-Bahnlinien S2 und S3 endet, entfallen ab 08:15 Uhr die in Stuttgart-Vaihingen startenden S2- und S3-Verstärkerzüge. Dadurch wäre für den 08:29 Uhr ankommenden RE 19074 ebenfalls die S1 (S-Vaihingen ab 08:40 Uhr) die nächstmögliche Anschluss-S-Bahn, die ebenfalls bereits gut gefüllt in Stuttgart-Vaihingen eintrifft und ebenfalls nicht genügend Platz für die zahlreichen Fahrgäste des Regionalzugs hat. Diese Situation wiederholt sich mit etwas abnehmender Belastung stündlich bis zum frühen Nachmittag. Wirkliche Abhilfe wäre nur zu schaffen, wenn die betreffenden S2-Verstärkerzüge den ganzen Tag über fahren.
Das Vorhaben des Regionalverbands, den 15-Minutentakt auf den ganzen Tag auszudehnen, würde die S2-Verstärkerzüge enthalten. Jedoch sind ernsthafte Zweifel anzumelden, ob diese Ausdehnung bis 2020 für alle Linien realisiert werden kann. Alternative Lösungen liegen nicht nahe, weil die enge Vertaktung aller S-Bahnlinien auf der hochbelasteten Stammstrecke kaum Spielraum für Änderungen lässt. Auch für die Fahrlagen der Regionalzüge gibt es nur wenige Freiräume, wenn sie sinnvoll zwischen die S-Bahnzüge eingefügt werden sollen. Soviel ist absehbar: Ohne den durchgängigen 15-Minutentakt bzw. ohne die S2-Verstärkerzüge ab Stuttgart-Vaihingen würden die Regionalzüge mit Endstation Stuttgart-Vaihingen die S-Bahn und ihre Benutzer einmal mehr auf eine harte Probe stellen.
Im Frühjahr 2015 hat die Bahn zusammen mit Landesverkehrsminister Hermann und OB Kuhn stolz den zukünftigen Regionalbahnhof Stuttgart-Vaihingen angekündigt. Seitens der Bahn verlautet, man wolle den Regionalbahnhof 2020 betriebsfähig haben, d. h. mit Beginn der übergangsweisen Endstation Vaihingen wäre er fertig. Soweit scheint alles zusammenzupassen. Aber wenn wir schon in die Zukunft blicken: Was ist zu erwarten, wenn die Übergangszeit endet und die Züge voraussichtlich so fahren könnten, wie es sich die Planer von Stuttgart 21 vorgestellt haben? Bleibt der Regionalbahnhof Vaihingen dann weiterhin Endstation für Regionalzüge, die die Strecke über den Flughafen nicht mehr aufnehmen kann? Wenn sich an den S21-Planungen nichts mehr ändern sollte, lautet die Antwort ziemlich sicher: „Ja“. Denn eine Weiterführung der Züge auf der Gäubahnstrecke ist nach bisheriger Planung technisch nur in Richtung Stuttgart-Feuerbach denkbar, dorthin allerdings im Bereich der Löwentorbrücke mit niveaugleicher Querung der mehrere Stunden täglich im 5-Minutentakt in beiden Richtungen befahrenen S-Bahngleise. Dies wäre vermutlich mit massiven Störungen des S-Bahnverkehrs verbunden, also keine tragfähige Lösung und deshalb kaum zu erwarten.
Damit würde in Bezug auf die „Endstation Vaihingen für Regionalzüge“ das Attribut „übergangsweise“ durch „langfristig“ oder gar „dauerhaft“ zu ersetzen sein. Der S-Bahn bliebe in Stuttgart-Vaihingen also eine stattliche Anzahl von Umsteigern aus dem Regionalzug erhalten.